Kann ich einen Marathon langsam und dafür entspannt „laufen“ oder wird es trotzdem anstrengend? Dieser Frage ging ich gestern nach und startete praktisch ohne Vorbereitung (= keine durchgelaufenen Strecken über 20km Länge und auch der Rest unregelmäßig) beim Mittelrheinmarathon in Koblenz.
Mit weniger als 300 Teilnehmern ging es auf die Strecke, deren Verlauf ich mir nur grob angeschaut hatte. Deswegen ließ die erste Überraschung auf sich nicht warten: Es ging nicht wie gedacht die Rheinpromenade entlang, sondern über die B9 – und diese ist etwas wellig. Zeitweise wähnte ich mich irgendwo in den USA: Kilometerweit geradeaus verlaufende Straße, sich weit verteilte Läufer, gnadenlose Sonne auf der schattenarmen Strecke (erstes warmes/heißes Wochenende dieses Jahr!). Nachdem ich mein Tempo gefunden habe, ging es aber recht stressfrei nach vorne, mit nur kurzen, aber angenehmen Besuchen in den auf dem Weg liegenden Dörfern. Die Bewohner von Rhens, Brey und besonders Spay bereiteten Teilnehmern einen herzlichen Empfang; es herrschte Atmosphäre eines Straßenfestes, die ich bereits auf dem Hinweg (wir liefen bis Boppard und dieselbe Strecke zurück) sehr genossen habe.
Einige Kilometer vor der Wende holte ich die 4:15-Pacemaker ein und wir liefen in einer kleinen Gruppe bis zum Halbmarathon-Bogen, den wir pünktlich nach 2h 7min 40s erreichten. Danach gönnte ich mir allerdings etwas längere Trinkpause und das Grüppchen war weg.
Auf dem „Weg nach Hause“ läuft man wiederholt über eine etwa 8km lange Kurve „mitten im Nirgendwo“. Zwar ist die Strecke landschaftlich sehr schön – oberes Mittelrheintal ist immer einen Besuch wert! – das ist aber ein schwieriger Abschnitt was Motivation angeht. Selbst bei ganz gemütlichen Tempo ließ die Lust, weiter zu machen zu wünschen übrig, also beschäftigte ich mich damit, diejenige, die gerade spazieren gingen, aufzumuntern. Teilweise hat es geklappt und wir liefen sogar ein Stück zusammen, teilweise blieb es bei Smalltalk.
In den Ortschaften wurde es wieder stimmungsvoll. Obwohl inzwischen die Halbmarathonläufer von hinten angesaust kamen und man nicht mehr ganz allein auf der Strecke war, wurde man als Marathoni – wir waren an der Startnummerfarbe erkennbar – ganz besonders empfangen. Die Dörfer selbst sind ein Teil des UNESCO-Weltkulturerbes und mit vielen Fachwerkhäusern wahre Perlen am Rhein.
Nach dem Verlassen von Rhens blieben uns nur noch 11km Strecke. Nun waren alle durchgemischt – 10km-, Halbmarathon, Staffel- und die restlichen Marathonläufer. Sonne, die uns für etwa 20 Minuten in Ruhe gelassen und sich hinter Wolken versteckt hatte, kam wieder raus und ärgerte. Teilweise kam steifer Gegenwind hinzu – den hätten wir in der Hitze des Hinweges nach Boppard besser gebraucht!
Mir ging es aber komischerweise recht gut. An jeder Verpflegungsstelle holte ich mir etwas zu trinken (100-150ml Wasser/ Elektrolyte) und spazierte bis alles ausgetrunken war oder ich genug hatte. Gehpausen „ohne Grund“, wie wir einige davor eingelegt hatte (2-4 Mal bei den Anstiegen) brauchte und machte ich keine mehr. Es ging langsam, aber stetig zurück nach Koblenz und ich freute mich über den Schatten in der Stadt selbst.
Das Ankommen war unspektakulär. Auf dem letzten Kilometer steigerte ich den Gang und genoss das Laufgefühl. Zwar waren die Muskeln steif und die Füße vertrugen die (bisher nicht auf langen Strecken getesteten) Socken nicht – aber die Laufbewegung machte immer noch Spaß. Wo ich damals in Madrid völlig fertig um jeden Schritt kämpfte und nach dem Zieleinlauf auf die erste Wiese fiel, konnte ich nun die ganze Stimmung der Veranstaltung wahrnehmen, die Fotografen anlächeln und nach erfrischendem Getränk in Richtung Duschen spazieren. Dort traf ich auch auf meine Münchener Freunde, von denen die Frau auf Bestzeit gelaufen und mit 3h 43min eine starke Zeit geliefert hat.
Insgesamt hat es also funktioniert, langsam zu laufen und Spaß zu haben. Auch bin ich froh, trotz ungenügender Vorbereitung heute mit nur minimalem Muskelkater aufzuwachen und ansonsten mich ganz fit zu fühlen. Für die Psyche ist ein Wettkampf, den man extra locker angeht, aber unbefriedigend und eine Zeit von 4h 31min schlecht zu akzeptieren. Daher werde ich dieses Jahr, wahrscheinlich im Herbst, noch irgendwo starten und dann voll laufen – um erneut im Ziel liegend „nie wieder!“ zu denken , zwei Tage später aber stolz weiter zu planen….