Zeltgespenst

…ist unterwegs!

Cogne – oder die Frau und das Eis

Dorf Lillaz, Kommune Cogne, Region Aostatal, Italien. Ein Dutzend Häuser, drei Campingplätze. Im Dunkeln verlassen wir das Auto und bringen fröstelnd unsere Sachen in die Ferienwohnung. Es dauert nicht lange, bis die meisten Sachen wieder ins Auto wandern – selbst zu dritt ist das kleine 4er-Apartment nicht gerade ein Raumwunder. Aber wir sind ja auch nicht zum Entspannen hier.

hier sind wir richtig!

Tag 1   –   Lillaz-Fall, WI III, 5 SL, 240m

Früh aufstehen? Fehlanzeige. Langsam aus den Decken schälen, Verluste einschätzen. Es ist nämlich recht kalt hier und da die Wohnung mit nur einer Decke pro Person bestückt ist, war die Nacht ziemlich biwakähnlich…

Nach einem Restefrühstück – sagen wir mal a la Tour – behängen wir uns mit teurem Material und spazieren auf geräumtem Weg zum Dorfwasserfall (Cascade de Lillaz), mit mehreren Seillängen im 3. (WI-)Grad ideal zum Einstieg. Und da im durchaus imposanten Fall schon mehrere Seilschaften sind, wärmen wir uns im benachbarten 2er-Gelände auf, indem wir es seilfrei hochturnen.

„Willst du vorsteigen?“ Diese Frage habe ich oft genug verneint – die Anwesenheit besserer Kletterer macht, sagen wir mal, wählerisch. Doch es sieht machbar aus und so steige ich tatsächlich ein.

Das Klettern, zu Beginn noch ultra vorsichtig, macht bald Spaß und ich komme sogar dazu, im Vorstieg ein paar Fotos zu schießen. Das Eis ist weich und eingepickelt – was für eine Entschädigung für das spröde Zeug in der Taschachwand und die steinharte  Glasur an der Königsspitze! Wir klettern die drei Steilstufen, wobei sich die Schwierigkeiten relativ gleichmäßig verteilen, und seilen bzw. laufen anschließend hinab – ein perfekter, gut gesicherter Einstieg in die Eissaison. Viele Eisfälle bei Cogne sind mit im Fels gebohrten Ständen ausgestattet und damit quasi ein Sportklettergebiet.

Tag 2   –   unknown cascade, WI4, 100m

Immer weiter ins malerische Tal hinein. Vorbei an der traumhaften Linie des Cold Couloir, vorbei an mehreren bereits „bewohnten“ Eisfällen, suchen wir den einen „unseren“. In der gespenstischen Winterstimmung finden wir ihn – nur zwei Seillängen, dafür aber ein abenteuerlicher Zustieg und kaltes, hartes Eis. Hier darf Lukas wieder als erster ran; Stefan und ich haben genug damit zu tun, einfach sauber hinterher zu kommen. Mir kommt beim Klettern unter anderem ein 50cm³ großer Eisbrocken entgegen, samt der darin versenkten Eisschraube…

der Zustieg – eine Tour an sich
Stefan unterwegs

Am Ausstieg hängend, bin ich den Grautönen der Landschaft völlig erlegen. Die Farben, die Formen, der Geruch und die Stille des Winters sind faszinierend, besonders, wenn man damit umzugehen weiß. Ich quere ein paar Meter weit bis zum nächsten Felshaken und schon sausen wir nach unten.

Nach dem Abstieg besuchten wir zu zweit mit Lukas abermals den Lillaz-Fall und ich holte ein paar Vorstiegsmeter nach – ein ideales, jedoch immer dünner werdendes Übungsgelände mit plätscherndem Wasser unter der blauen Kruste.

Zeltgespenst  im Eis. Foto: Stefan C.

Tag 3   –   E tutto relativo, WI4 (5 SL etwa WI 3/3/4/3/3+), 200m

Ein super schöner, beliebter Klassiker. Im Zustieg verfranzt (wir sind einzeln gegangen), war es der anspruchsvollste Part für mich, wieder auf die Route zu kommen – danach, im Eis, hat es einfach nur Spaß gemacht. Und während Lukas in der 4er Seillänge auf seine Kosten kam, teilten Stefan und ich uns gern die einfacheren Abschnitte.

abseilen nach der Tour – 50m frei hängend!

Am Abend stand jedoch noch ein Highlight an: Wir holten in Aosta unseren Freund Jan ab und gingen – endlich – einkaufen. Schluss mit der Tourennahrung, willkommen 20 verschiedene Käsesorten zum Frühstück und zwei Pizzen pro Person am Abend! Ich weiß schon, warum ich so gern mit Männern auf Tour bin 🙂

Tag 4   –    Übungstag an kleineren Fällen

ob steil, fragil oder mixed – im Toprope lässt sich einiges ausprobieren

Jan ist zwar ein Eisanfänger, aber wie bei allem, was er anfasst, ein Überflieger. Es dauerte nicht lange, bis er sich nicht ungeschickter als ich anstellte und wir hatten definitiv viel Spaß, die kleineren Übungsfälle rauf und runter zu klettern. Ich hatte in einem Steilstück beim Toprope-Einhängen außerdem unfreiwillig einen ersten einarmigen Klimmzug absolviert – ich glaube, die beiden da unten hatten genug zu lachen…

Und am Abend war mal wieder… der Lillaz-Fall dran. Ihn zu dritt in der Rekordzeit rauf und runter geturnt, überlegten Lukas und ich uns einen Plan, den wir bisher nicht in Betracht gezogen haben: Die magic line des Cold Couloirs zu klettern. Jan und Stefan, die mehr Zeit hatten als wir, würden sich noch einen Tag lang einspielen und danach eine ebenfalls lange, aber einfachere Linie wählen.

Jan im Eis – voll konzentriert
noch schnell die Ausrüstung tunen….Profi am Werk 🙂

Tag 5   –   Cold Couloir WI4+ (SL etwa WI 4/4+/3/4/3/3/3), 600m

magic line

Als der Wecker klingelt, ist es noch stockfinster. Leise nehmen Lukas und ich unsere Rucksacke und laufen wie so häufig zügig und schweigend los. Am Einstieg ist niemand – gut so. Noch im Dunkeln beginnt Lukas sich durch die erste Länge zu kämpfen; um mich herum fliegen große und kleine Eisbrocken, ohne mich jedoch auch nur zu streifen. Zuletzt kommt der Eisschlag aus 60m Höhe – da möchte ich nicht einmal etwas Kleines abbekommen. Und endlich höre ich ein „Nachkommen!“

ganz schön steil!

Es klettert sich gut. Das Eis ist nicht zu hart und wir sind nicht die ersten in den letzten Tagen hier. Auch die zweite Seillänge, ebenfalls von Lukas geführt, geht besser als befürchtet. Und dann wird es einfacher und auch ich kann vorgehen.

eine Landschaft, in die man als nicht-Eiskletterer nie hinkommt
fast oben! Nur noch ein letzter Steilaufschwung

Die Landschaft ist fantastisch, die Tour aber reichlich lang. Eisaufschwünge wechseln sich mit flacheren Schneefeldern ab, das Tal entfernt sich immer weiter. Irgendwann kommen wir ans Ende des Couloirs; über uns sind nur noch weiße Schneehänge, aber kein Eis mehr. Wir seilen ab und treffen dabei auf eine geführte Seilschaft – die einzigen am heutigen Tag hier. Sie schaffen es, etwas schneller zu sein und schon sind wir wieder alleine und genießen den Abstieg.

Tag 6    –   Heimfahrt

Gut geklettert, gut gegessen, gut geschlafen. Cogne wird nicht umsonst „Mekka des Eiskletterns“ genannt, es macht unglaublich viel Spaß, hier im riesigen „Sandkasten“ die schönsten Wasserfälle zu beklettern. Wir verabschieden uns vorerst von diesen schönen Tälern und sind uns alle einig: Wir kommen wieder!