Es ist Sonntag, der erste Juni, und wie so oft sitze ich im Zug unterwegs nach Hause. Mit nur einem Unterschied: Elfsteden Roeimarathon liegt nicht mehr vor, sondern hinter mir! Ein phantastisches Wochenende mit einer wunderbaren Mannschaft, das rot unterstrichen ins Gedächtnis eingeprägt wird – und hoffentlich nicht zum letzten Mal mit uns stattfindet.
Als die Idee kam, interessierte mich nichts außer der Streckenlänge – und diese schien mit mehreren knapp 10km langen Etappen spannend, aber machbar. Doch bereits beim ersten Mannschaftstreffen wurde klar, dass es sich nicht um eine „normale“ Regatta handelt, und auch ganz andere Herausforderungen zu meistern sind als die sportliche.
12 Personen aus fünf verschiedenen Vereinen und in 6 Städten wohnend aufeinander abzustimmen, war die erste davon. Es wurde abwechselnd in zwei Vereinen trainiert und über die Generalprobe auf der Mosel freute ich mich als Neu-Koblenzerin besonders. Parallel lief die große Hintergrundsarbeit: Land-(bzw. Wasser-)Karten wurden angepasst, GPS-Technik, Bootsbeleuchtung, Erkennungszeichen für die Staffelmitglieder am Land und vieles mehr vorbereitet. Für mich als Elfsteden-Neuling war das alles verwirrend und unüberschaubar, gab aber zu verstehen, dass das Rudern selbst nur die Spitze des Eisbergs sein wird.
Eines Tages ging es endlich nach Friesland. Bei bestem Wetter genossen wir die Ankunft, bauten Zelte auf und verbrachten einen entspannten Abend beim Grillen; die Stimmung erinnerte dabei an die eines Ferienlagers.
Als die Sonne schon längst untergegangen war und wir am wärmenden Feuer saßen, wurde erneut der Name für das kürzlich angeschaffte und bisher „Noname“ genannte Boot diskutiert (alle Wasserfahrzeuge müssen eindeutig identifizierbar sein und einen Namen tragen). Der Gewinner-Namensvorschlag für den schneeweißen Gig-2er hieß „Blanc de Noir“ und nur wenige Augenblicke später reichte man mir eine Tass….. eh… Pokal mit, sagen wir mal, Sekt entgegen – unerwartet und unverdient, durfte ich dem kleinen Schiff die sprichwörtliche Handbreit Wasser unter dem Kiel wünschen. So bekam der Tag einen recht emotionalen Abschluss und das Boot gegen Mitternacht einen Namen.
Am nächsten Tag bereiteten wir bei bestem Wetter alles für die lange Fahrt vor und genossen die Ruhe vor dem Sturm. Um 19 Uhr ging es für die allermeisten zum Start – für meinen Bootspartner und mich aber in die Zelte. Da wir die Staffel an derselben Stelle übernahmen, wo wir zelteten, durften wir noch ein paar Stunden entspannen.
Um 22 Uhr, als ich kurz aufwachte und genüsslich den Schlafsack schließen wollte, war es aber soweit: Aufstehen und den Kreislauf auf Trab bringen. Die Gegend um die Wechselstelle herum lebte, GPS-Tracking ausgewählter Mannschaften zog alle Blicke auf sich und schon bald kam das erste Boot, das die Runde um Leeurwarden bereits beendet hat.
Kurz nach Mitternacht konnten wir im Boot-Chaos unsere Mannschaft auf dem Wasser ausmachen. Auch sie sahen unser Lichtschild und in wenigen Augenblicken nahmen mein Partner und ich unsere Rollsitze ein und die Steuerfrau lenkte uns aus dem überfüllten Gefahrenbereich.
Mit steigender Herzfrequenz verschwanden Anspannung und innere Unruhe. Sich immer mehr auf die Atmung und den Bootslauf konzentrierend, ging es aus der Ortschaft auf die ländlichen Kanäle. Schlag um Schlag glitten wir durch die Nacht, oben leuchteten schwach die Sterne, Schatten der Ufer begrenzten das ohnehin eingeschränkte Aufmerksamkeitsfeld. Manchmal kündigte die Steuerfrau eine Brücke an oder sagte, es wäre die eine oder andere Mannschaft in der Reichweite – gern nahmen wir diese Informationen an und verließen uns absolut auf ihre Anweisungen. Gleichmäßig und selbstbewusst ging es auf Überholkurs und irgendwann verschwanden die Bugleuchten der Überholten wieder im Dunkeln.
Auch wenn die Fahrt anstrengend war, genoss ich das Rudern. Den Bewegungen des Schlagmanns folgend, hatte ich das Gefühl, auf dem Ergometer zu sitzen – so ruhig und störungsfrei lief das Boot. Und da wir wussten, dass es technisch die angenehmste Strecke sein wird (später kommen Wind und Wellen), legten wir entsprechend Kraft ein – von der gefühlt jeder Newton tatsächlich im Wasser landete.
Über die verbleibende Strecke wussten wir in der Nacht jedoch nichts. Als die inneren Glöckchen langsam zu läuten begannen, kam plötzlich die Wechselstelle; irgendwelche Hände halfen mir auf den grasbewachsenen Ufer hoch, andere reichten Jacke zum anziehen – und die neue Mannschaft verschwand währenddessen schon in der Nacht.
Mit dem Mannschaftsbus ging es zur nächsten Wechselstelle. Dort, an einer zum Anlegen ungeeigneten, unübersichtlichen Stelle knapp vor einer Brücke lagen gerade mehrere Boote ineinander verkeilt und kamen nicht weiter. Anspannung am Land und auf dem Wasser, aufgeregte Rufe, Angst um das Material und die verlorene Zeit – um drei Uhr nachts ist es im Rudern alles andere als häufig zu erleben. Zum Glück löste sich der Stau kurz bevor unsere Mannschaft ankam, sie konnten ohne Schäden anlegen und aus-/ einsteigen.
Generell waren diese Staffelwechsel ein Erlebnis. Mit speziell vorbereitetem Schild a la „OPEN“ lotsten wir unsere Steuerleute zu unserem Stand, griffen mit gepolsterten Hacken ins Boot hinein, stoppten es und zogen näher zum Ufer. Zwei Personen zerrten die alte Besatzung ans Land, zwei weitere halfen der neuen einzusteigen. Währenddessen rannte jemand zum Stempelplatz und zurück und schon wurde das Boot zur Flussmitte hinausgeschoben.
Inzwischen ist es Morgen geworden. Goldener Nebel lag über den friesischen Ebenen, stieg vom Wasser, hüllte die Boote ein. In meinen 7 Jahren Rudern erlebte ich so eine Stimmung bisher nur ein Mal – und vergaß sie für keinen einzigen Tag.
Es versprach ein schöner Tag zu werden und obwohl ich mir frierend und um halb sechs Uhr morgens Besseres vorstellen kann, als nach einer durchwachten Nacht ins Boot zu steigen, freute ich mich auf die Strecke. Andererseits merkten wir auch, dass gerade bei den schon zwei Strecken geruderten Besatzungen die Müdigkeit nicht zu vernachlässigen war: Zitternde Hände, Frieren trotz mehreren Schichten warmer Kleidung, leise Stimmen und akutes Schlafbedürfnis sprachen da eine eindeutige Sprache.
Technisch unsauber und anstrengend bei windbedingtem Wellengang begann für uns beiden die nächste Etappe. Wieder profitierten wir aber von der erfahrenen Steuerfrau und konzentrierten uns voll und ganz auf uns. „Jetzt beginnt die Arbeit“ dachte ich, Spaß machte es deutlich weniger als beim nächtlichen Gleiten zwischen Wasser und Himmel. Noch waren wir aber ziemlich effizient und überholten mehrere Boote – mehr Motivaton kann es nicht geben. Leider schafften wir es aber nicht, vor der Einfahr in ein enges Kanal zwei langsame Mannschaften zu überholen – und mussten enttäuscht und genervt einen Kilometer lang auf „halbe Kraft“ fahren.
Nach mehreren Etappen Pause war ich wieder im Boot – diesmal auf dem Steuersitz. Davor hatte ich am meisten Angst – mehr als einen Anfängerkurs auf dem 500m breiten Rhein habe ich noch nicht gesteuert – und auch das ist inzwischen 5 Jahre her. Bei den letzten beiden Trainingsausfahrten übte ich deswegen so gut es ging, diese Strecke hier entwickelte sich trotzdem langsam zum Alptraum.
Erst ging es einen zwar engen, aber mehr oder weniger geraden Kanal entlang. Immer wieder berührten Ruderblätter das Schilf; ich warnte die Mannschaft und versuchte, den größeren Bewachsungen auszuweichen. Dann wurde es kurviger; außerdem wartete ich auf die Abbiegestelle, die nicht kommen wollte, und wurde zunehmend unruhiger. Eine andere Mannschaft kam von hinten an, konnte aber nicht vorbei, weil es zu eng war.
Hinter einer Brücke ging es um die Kurve, die ich vorher nicht einsehen konnte und nun nervös versuchte, nicht ins Ufer reinzufahren. Das schnellere Boot nutze die Lage und versuchte zu überholen, wobei es immer noch recht eng war. Plötzlich machte meine Mannschaft zielsicher das Gegenteil davon, was ich sagte – und in Handumdrehen lagen wir im falschen Kanal. Sie dachten, letztes Jahr hier abgebogen zu haben – was nicht stimmte.
Versteuern gemeinsam mit dem unnötigen Drehmanöver gaben mir den Rest und vom Versuch, souverän aufzutreten, blieb nichts mehr übrig. Trotzdem mussten wir zusammen zum Ende der Etappe. Deswegen verdrängte ich wie im normalen Rennen die vergangenen Fehler und konzentrierte mich auf das, was kommt. Und es kamen noch unzählige Engstellen und Brücken, oft beide zusammen und in Kurven gelegen. Als wir endlich nach Warden einfuhren, wurde das Kanal zwar weiter, dafür aber unübersichtlicher mit vielen blind endenden Abzweigen und größeren liegenden und fahrenden Schiffen.
Kann ich bei roter Ampel unter einer Brücke durch? Passen wir überhaupt unter so eine Brücke? Was ist, wenn ich dadurch die Mannschaft und/oder das Boot gefährde? Wie nah kann ich an eine große Yacht ranfahren? Ist ihr Kielwasser gefährlich? Sind wir hier überhaupt richtig oder habe ich den Abzweig verpasst??? Von der Panik, fast im vollen Gang gefühlt in eine Sackgasse zu fahren und nur im letzten Augenblick die Durchfahrt zu sehen spreche ich gar nicht…
Endlich war es vorbei. Mit schlechtem Gewissen, durch mein unfähiges Steuern der Mannschaft die Etappe versaut zu haben, aber unendlich erleichtert anzukommen, steuerte ich das rettende Ufer an. Und während die Ruderer – ebenfalls erleichtert – ausstiegen, blätterte ich die Seite der Wasserkarte um und „freute“ mich auf die nächste Etappe.
Halbrechts oder halblinks?????? Laut Karte ging es gerade aus und ich war absolut fertig mit den Nerven. Auf gut Glück halbrechts gefahren, sah ich im letzten Augenblick, dass es links nur in einen Hafen ginge – Glück gehabt. Wir hatten übrigens auch GPS am Bord, jedoch erstens sah man tagsüber kaum etwas auf dem Display und zweitens hatte sich etwas verstellt und die Strecke wurde nicht mehr angezeigt. Zwar konnte man es, wie sich später herausstellte, mit wenigen Handgriffen wieder anmachen, jedoch kam es gerade in der letzten Etappe, wo ich ständig die Steuerseile justieren musste, nicht in Frage.
Zum Glück war diese Etappe einfacher und außer mehreren, von der Wasseroberfläche nur ca. 70cm hohen Brücken gab es keine Hindernisse. Wobei diese auch beeindruckend waren: Selbst in liegender Position, teilweise zusätzlich mit „lang“ gestreckten Rudern (weil die Durchfahrt zu schmal), hatten wir gerade mal 10-20cm vom Gesicht zur Brückenunterseite. Steifer Gegenwind machte es den Rudernden zu schaffen, für mich war die Strecke aber entspannt.
Drei Etappen lang durfte ich mich nun erholen und aufs Rudern vorbereiten. Die Sonne schien immer intensiver, die Boote waren weit verstreut und hatten keine direkten Gegner mehr. Sehr beeindruckend fand ich in dieser Phase den Einsatz jedes Einzelnen: Ohne viel zu sagen, tat jeder sein Bestes für das Gesamtergebnis und weder Gereiztheit noch Nörgeln waren zu hören. Unauffällig wurden auch „schwere Waffen“ ausgepackt: Gels, Energiedrinks etc. sind auch im Rudern angekommen.
An meine dritte Etappe kann ich mich kaum erinnern. Nach dem Einstieg mitten in einer Ortschaft, wo sich viele Zuschauer und andere Teilnehmer im Schatten der Bäume erholten, ist dem Gedächtnis nur die sich etwas ziehende, kurvige und für die ebenfalls wenig erfahrene Steuerfrau schwierige Ankunft zu entlocken. Etwas unruhiges Wasser und kein schönes Rudergefühl sind noch gespeichert – aber wirklich rein gar nichts von der Strecke.
Langsam ging es auf die Zielgerade zu. Letzte Kräfte wurden mobilisiert und die Besatzungen übertrafen in ihrer Leistung die optimistischsten Erwartungen. Wieder bewunderte ich unsere heterogene Sammelmannschaft: Sowohl die Stimmung, als auch der Einsatz waren mehr als nur respekteinflößend.
Irgendwann am Nachmittag – ich hatte kein Gefühl für die Zeit mehr – zog ich meinen Lieblingseinteiler an. A. als Steuerfrau, T. und ich durften die allerletzte Etappe fahren und das damit verbundene besondere Gefühl ließ von der Hitze sowie dem Wunsch, mit den anderen zu entspannen, keine Spur. Bei schlechtem Wasser und ohne besondere Vorkommnisse ruderten wir die letzten 8km durch Leeurwarden – und plötzlich, so schnell und auf einmal war die Elfsteden Regatta zu Ende. _______________________________________________________________________
Es war nicht die erste Nacht, die ich durchgehend unterwegs war. Nicht der erste Wettkampf, den ich mit größerer Mannschaft bestritt und nicht die längste geruderte Strecke. Dennoch war es ein Abenteuer, das ohne Zweifel lange in Erinnerung bleibt; nicht zuletzt der Menschen wegen. Und wenn sich noch einmal die Möglichkeit ergibt, Elfstedentocht Roeimarathon mitzumachen – viel zu überlegen gäbe es sicherlich nicht.
P.S. Als Mixed-Mannschaft (6 Frauen, 6 Männer) belegten wir den 4. Platz in der Mixed-Wertung sowie den 8. Platz unter allen (108).
Hallo Zeltgespenst,
der Bericht ist super, er trifft genau die Stimmung dort.
2014 war ich auch da, habe aber nur den Bus für ein 6-er Team gefahren (die haben gewonnen).
Seit 2015 war ich immer dabei, warst Du auch noch mal?
Viele Grüße
Andreas
Hallo Andreas,
seit 2015 bzw. 2014 (die Begleitmannschaft ist ein Teil des Teams!) dabei – Hut ab! Da kommen bestimmt viele Eindrücke zusammen.
Ich selbst – nein, leider nicht. Elfstedentocht war eine meiner letzten Regatten; vllt. wird es sich eines Tages (bin neu in BaWü und rudere zur Zeit nicht) wieder ändern.
Viele Grüße
Anna
Hallo Anna,
ich lebe auch in BaWü, wir rudern in Karlsruhe.
Ist das weit von Dir?
Viele Grüße
Andreas
Ahoi Andreas,
Wir wohnen in Stuttgart, ist also schon ein Stück. Und ich habe erst kürzlich ein Baby bekommen…