6.-11.08.2013
Lange war diesmal unklar, was, wo und wie. Die Schweiz, Österreich oder gar Italien, wandern oder doch bergsteigen, mit Zelt- oder Hüttenübernachtungen – das einzige, worüber wir uns einig waren, war der Zeitraum. Deswegen freute es mich ungemein, als wir eines Abends am Gepatschsee ausstiegen – ab hier gab es nur einen Pfad und den nahmen wir auch.
Über das Ölgrubenjoch ging es bei sonnigem, aber auch recht heißem Wetter zum Taschachhaus. 3000m wurden überschritten, Wildspitze fotografiert und über die Neuigkeiten ausgetauscht; nach etwa 5,5 Stunden erreichten wir die Hütte und machten es uns im recht komfortablen Lager gemütlich. Direkt vor der Hütte erwartete eine wunderbare Aussicht: Taschachferner mit seinem Eisbruch zog alle Blicke auf sich.
Der Abend verlief gemütlich. Nach einer Diskussionsrunde bezüglich des nächsten Tages wurde beschlossen, zu zweit zur Wildspitze aufzusteigen, während sich unser Dritter von den Strapazen der letzten Wochen erholte.
Am frühen Morgen ging es über den im unteren Bereich aperen Taschachferner sanft bergauf. Ab etwa 3100m schoss sich die Schneedecke, die tiefe Spur über den spaltenarmen Gletscher suggerierte aber Sicherheit und viele – auch wir – gingen seilfrei.
Am Zusammenfluss beider Normalrouten – der unseren und der von der Breslauer Hütte – kam der Wind. Schnell wurden warme Sachen angezogen – ich griff sogar zur Reserve–Daunenweste – und mit zugezogenen Kapuzen ging es weiter bergan. In der spaltenreichen, aber offenen Steilstufe vor dem letzten Schneefeld mussten wir immer wieder anhalten, um vom Wind nicht von den Schneebrücken geweht zu werden – besonders meine sehr leichte Partnerin hatte zu kämpfen. Richtige Entscheidung wäre es hier, umzudrehen; vor uns stieg aber eine geführte 3er Gruppe auf und das wirkte beruhigend.
Auf dem Gipfel sahen wir nichts. Und als wir wieder auf dem Schnee unterhalb der Felsen waren, konnte man im Wind kaum noch stehen.
Zwischen größeren Steinen sitzend, bereiteten wir mit klammen Fingern das Seil für den Abstieg vor. Die Seilschaft vor uns (mehr Menschen gab es am Berg nicht) war gerade damit fertig und stand auf – im selben Augenblick wurde der ältere und schon sichtlich müde Zweite von einer Böe erfasst und auf den Boden beschleunigt – unglücklicherweise mit dem Kopf auf einen Stein. Angespannt, schauten wir zu; das Wetter war so schlecht, dass selbst die 10 Meter zu ihm für uns eine Herausforderung wären. Zum Glück blieb es bei einem harmlosen Kratzer auf der Stirn, der mit einem Pflaster ausreichend versorgt war.
Während meine Partnerin die letzten Knoten festzog, beobachtete ich die drei, die gerade mit dem Abstieg begannen. Sie haben sich erst ein paar Meter vom Blankeis entfernt, als ich plötzlich nur noch zwei und vorne ein klaffendes schwarzes Loch sah – Spaltensturz! Die beiden anderen riss es zu Boden, wobei der ganz ganz junge Bergführer die Lage unter Kontrolle hatte und den Sturz hielt.
Sofort sprinteten wir runter, drehten Eisschrauben rein und halfen, die Menschen und das Seil festzumachen. Der Gestürzte verletzte sich nicht, hing aber relativ tief und fror. Zu Dritt (der Ältere war nicht mehr wirklich aktionsfähig) bauten wir schnell die Umlenkungen und zogen ihn raus. Als Dankeschön für unsere Hilfe, die in dem Augenblich wirklich willkommen war, ging es nun nah aneinander runter – nach der Geschichte waren wir als Zweierseilschaft auch ziemlich verunsichert, außerdem war es inzwischen recht spät (13 Uhr).
Das Wetter besserte sich und der weitere Abstieg verlief bis auf Knieprobleme meiner Partnerin ganz entspannt. Für die erste Tour der Woche war der Tag aber lang und erlebnisreich, also beschwerten wir uns nicht, als es am nächsten Tag regnete und wir, wie auch die meisten anderen an der Hütte, uns auf dem nahen Schneefeld und in den Felsen den Technikübungen widmeten. Trotz der „realistischen“ Bedingungen – Seilhandling im Schneeregen und mit dicken Handschuhen – genossen wir den Tag und freuten uns, die warme trockene Hütte in nur wenigen Minuten Fußweg zu haben.
Da die Kaltfront das Gebirge fest im Griff hielt, stiegen wir am darauffolgenden Tag wieder zum Gepatschsee ab. Am nächsten Nachmittag, als es endlich besser wurde, ging es zum Weißseeferner unterhalb der Weißseespitze und über den Gletscher bergauf. Vom Nörderschartl stiegen wir noch ein paar Meter über den Grat hinauf und erblickten das wunderschöne Gletscherplateau (hier Gepatschferner) der Ötztaler Alpen.
Obwohl das Ziel „Brandenburger Haus“ hieß und ich schon seit langem dort übernachten wollte, brachten einziehende Wolken Verunsicherung – auf diesen Eisfeldern möchte man ungern in den Nebel geraten. Bald änderten wir deswegen die Richtung und stiegen zur kleinen, urigen Rauhekopfhütte ab.
Die Hütte ist ein Erlebnis an sich. Angefangen mit dem offenen Duschkopf am kuhtränkeartigen Wasserbecken vor dem Gebäude über den mehr als kompakten Gästeraum bis zu den Freiwilligen, die zweiwochenweise die Hütte und ihre Gäste betreuen. Die 20-Plätze-Unterkunft liegt vor einer tollen hochalpinen Kulisse mit einem Eisbruch direkt unterhalb davon, ist nur nach einer Gletscherwanderung zu erreichen und wird deswegen von nichtkommerziellen Ausbildungsgruppen als Basislager benutzt. Als wir ankamen, flogen dort gefühlt Tonnen an Fels- und Eisausrüstungs rum und an jedem Felsen hingen Übende.
Angesichts des instabilen Wetters, bald kommenden Staatsexamens und sich anbietender Mitfahrgelegenheit, beschloss ist, am nächsten Tag abzusteigen. Als Abschied stieg ich jedoch noch auf den Hausgipfel – den 2989m hohen Großen Rauekopf. Je nach Routenwahl braucht man nicht schwerer als I-II zu kraxeln, ich nahm aber den direkten Weg zum Grat und genoss die Kletterei im festen, griffigen, manchmal aber etwas ausgesetzten Fels. Zurück ging es im brüchigen, aber einfachen Schrofengelände und in etwa 2h insgesamt war ich wieder an der Hütte.
Jetzt ging es nur noch nach unten. Den spaltenreichen, komplett aperen Gletscherteil von oben fotografiert, fand ich relativ schnell den Weg durch das Labyrinth. Genoss dann den Abstieg übers Eis und lief anschließend auf einem schönen Pfad nach unten zum Parkplatz.
Bis zur Abfahrt blieb noch etwas Zeit und ich nutzte gerade die Gelegenheit, die Füße in den eiskalten Bach zu stecken, als gegenüber ein Gleitschirmflieger landete. Verblüfft erkannte ich den Ausbilder des an der Hütte stattfindenden Kurses – so kommen die Profis vom Berg! Bald erschienen auch die zu Fuß Absteigenden und schon jagten wir über die leere Straßen zurück nach Deutschland.
Sonnenverbrannte Lippen befeuchtend, sprachen wir während der ganzen Fahrt über Berge. Über Gipfel und Zustiege, Hütten, Schwierigkeitsgrade und Ausrüstung. Und obwohl wir uns bis dahin nicht kannten und nie wieder sehen werden, war dies ein natürlicher Austausch der Freunde über die Lieblingssache. Nein, es wird nie langweilig 😉
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