26.12.2012-01.01.2013
Zwischen Weihnachten und Neujahr in die Alpen, Silvester mit Freunden bei Käsefondue und der eine oder andere Gipfel zwischendurch – seit Jahren ist der Plan für die Feiertage immer der gleiche. Zu acht zogen wir kurz nach Weihnachten aus jeweils verschiedenen deutschen Städten ins Montafon und peilten den Winterraum der Heilbronner Hütte an.
11km und 1200hm standen am Anreisetag auf dem Programm. Die Gruppe stieg gesplittet auf, denn einer von uns kam aus dem anderen Tal, zwei starteten deutlich früher und eine Bekannte und ich waren eine Stunde hinter den restlichen drei, weil wir nach dem Start kurz zum Auto zurückkehren mussten. Mit schweren Rucksäcken und im dichten Schneefall ging der sowieso schon kurze Lichttag noch schneller zu Ende als gehofft, sodass wir irgendwann unsere Stirnlampen rausholten. Obwohl die Gruppe sich zwischenzeitlich wieder vereint hatte (die vorne Gehenden wurden eingeholt), ging jeder sein eigenes Tempo und die Abstände wurden wieder größer.
Müde, im Dunkeln und immer noch im Schneetreiben kamen wir an der Hütte an. Hier las ich eine SMS von den Dreien, die sich hinter uns befanden: „Wir werden biwakieren“. Die Nachricht löste „Alarmstufe rot“ aus: Haben sie entsprechende Ausrüstung bei? Sind sie erschöpft? Gibt es andere Probleme? Und natürlich gab es kein Netz mehr, um das alles zu klären…
Sobald die Thermoflaschen gefüllt waren, standen wir mit gesammelter Biwakausrüstung wieder vor der Hütte und zogen Schneeschuhe an. In diesem Augenblick erschien eine Stirnlampe aus dem dunklen Nichts und wir erfuhren, dass die weiter unten gebliebenen zwei alles für eine Nacht draußen dabei hatten – Entwarnung.
Der Abend wurde angenehm und entspannt, wir feierten das Wiedersehen und fielen irgendwann fix und fertig auf die Matratzen – in dieser Nacht hat sich sicher niemand übers Schnarchen beschwert.
Am Morgen war der Himmel wie bestellt – blau. Der Neuschnee strahlte verlockend und machte lehrbuchmäßige „wumm“-Setzungsgeräusche. Deswegen wählten wir ein Ziel, das absolut lawinensicher war: den Grünen Grat (2708m). Bei nur 400hm Höhenunterschied und mehreren Personen war selbst das Spuren nur ein angenehmes Frühsportprogramm. Irgendwann schaffte ich es, ein paar Meter Vorsprung aufzubauen und „sicherte“ mir den eigentlichen Grünen Grat – einen kurzen, aber herrlichen ungespurten Abschnitt vor dem höchsten Punkt.
Auf dem Rückweg gruben wir unter anderem ein Schneeprofil und begannen mit LVS-Übungen. Auch am Nachmittag, als auch die Biwakierer mit dem ihnen helfenden Freund von uns oben waren, piepsten die Suchgeräte und glühten die Schaufeln. Und es wurde noch ein lockerer Abend in einer tollen Atmosphäre.
Östlicher Valschavielberg (2623m) hieß das nächste Ziel. Über seine abgewehte Südseite konnte man bestens aufsteigen und nur der starke Wind machte die Tour alpiner. Kurz vor dem Gipfel gab es außerdem einige Kraxelstellen zu meistern, deswegen verzichtete ein Teil von uns auf den höchsten Punkt und stieg schon mal in Richtung des nächsten geplanten Berges.
Netterweise ließ der Wind nach, als wir den Gipfel erreichten. Das Panorama lässt sich nicht beschreiben, was für Glück haben wir mit dem Wetter!
Weiter ging es zum gegenüber liegenden Valschavierkopf. Da das Gelände steil und der Tag schon etwas fortgeschritten war, gingen die Meinungen erneut auseinander und nur ein Teil von uns stieg bis auf den Gipfel. Gelohnt hatte es sich aber auf jeden Fall!
Zurück in der Hütte, hieß es, Abschied zu nehmen. Denn während wir vier nur das Basisquartier wechselten, stiegen andere vier am nächsten Morgen endgültig ab. Es schneite übrigens erneut.
Am Morgen blieb von unserer, in der Zwischenzeit von zwei Skitourengehern nachgezogener, Spur nichts mehr übrig. 11 Kilometer leicht abfallendes, tief verschneites Tal hatten wir, die als erste aufbrachen, vor uns.
Bereits nach den ersten, noch mit Stirnlampen zurück gelegten, Metern erfuhren wir, wie anstrengend das Ganze wird – aber auch wie eindrucksvoll.
Schritt….noch einer…noch einer. Obwohl es leicht bergab ging, stieg die Herzfrequenz bereits nach wenigen Sekunden des Spurens. Nach nur ein paar Schritten – manchmal waren es wirklich nur 10-20 – trat man völlig außer Atem zur Seite und ließ die anderen vorbei – ohne Worte und sogar ohne Blickkontakt ging es weiter, während sich der Ausgewechselte in Fußspuren anderer erholte. Und es ist egal, ob man 10, 20 oder 100 Schritte schaffte – der Einsatz jedes Einzelnen für die Gruppe ist das, was zählt. Mehr Teamwork als hier, in den Bergen, kann es kaum geben.
Mit unseren recht schweren Rucksäcken brauchten wir mehr als 4h bis zum Parkplatz in Partenen. Nachdem der Wagen ausgegraben war, fuhren wir nach Latschau und stiegen bei sich erneut besserndem Wetter über die geräumte Rodelbahn zur Lindauer Hütte (1744m) auf.
Große Pläne wurden für den nächsten Tag geschmiedet. Entsprechend früh wollten wir starten und waren schon unterwegs zum Öfenpass (2291m), als die anderen erst gemütlich den Morgen genossen und bestimmt uns auslachten, die mit schwerem Gepäck (Biwaksachen) bei all dem Neuschnee den Weg zum Pass hoch spurten.
Gehen im pulverigen, manchmal hüfttiefen Neuschnee, aber auch mehrere hautnah erlebte Staublawinen überzeugten uns neben der viel zu schnell laufenden Uhr nach und nach, dass wir es am besten beim Pass sein lassen sollten. Oben angekommen, schauten wir außerdem in die weitere geplante Route rein: Keine Spurzeichen weit und breit, jede Menge auf unvorsichtige Begeher wartende, vollgeladene Hänge. Aus den letzten Zweifeln holte uns ein Bergführer, der gerade mit seiner großen Gruppe am Pass ankam: „Was habt ihr verbrochen, dass ihr den Pass spuren musstet? So eine schlechte Schnee-/Lawinensituation hatten wir lange nicht mehr!“
Unter den verärgerten Blicken der Skitourengänger, die den (unseren 🙂 ) Weg inzwischen glatt gebügelt hatten, ging es zurück zur Hütte. Dort erwartete uns schon der Hüttenwirt Thomas Beck, der trotz des enormen Gästeaufkommens mit den ganzen Frühstücks- und Verabschiedungsstress am Morgen unseren Aufstieg beobachtet hatte. Seine Aufmerksamkeit und Bergkompetenz trotz der talnahen Lage der Hütte mit hauptsächlich Tagesgästen waren generell bewundernswert.
Später versuchten wir noch, zum Drusentor aufzusteigen und gaben es aufgrund der Lawinengefahr mitten im Aufstieg auf. Aber obwohl alle A-Pläne für diese Gegend damit gescheitert waren und wir den Silvester wohl an der Lindauer Hütte verbringen werden, gaben Stolz auf die Gruppenleistung sowie die rechtzeitige, vernünftige Umkehr dem Tag einen durchaus positiven Ton. Auch das Spazierengehen über die Hügel und Wälder um die Hütte herum ließ Urlaubs- und Entschleunigungsgefühle aufkommen.
Da die Hütte inzwischen ausgebucht war, bat man uns, in den Winterraum zu gehen. Für diese Entscheidung – ob zufällig oder nicht getroffen – waren wir äußerst dankbar und bezogen sofort die neue Unterkunft.
Am nächsten Morgen, als selbst die Skitourengeher gerade erst aus den Betten kamen, stiegen wir auf den letzten Gipfel des Jahres – den Geißspitz (2334m). In teilweise steilen Serpentinen ging es einen potentiell lawinengefährdeten, jedoch viel befahrenen Hang empor und über die mit Schneeschuhen etwas heiklen letzten Meter zum höchsten Punkt. Und bevor die ersten Abfahrer um uns herum kurven und der Schnee weicher wird stiegen wir ab, setzten uns in den Schnee 100hm über der Hütte, sonnten uns und spielten im Schnee wir Kinder.
„Sollen wir kurz ins Tal und Sekt holen?“- als die Idee kam, lachten alle darüber. Da es aber erst 14 Uhr war und wir bereits seit Stunden faulenzten, kam irgendwann der Entschluss: Während eine von uns schon alles für das „Festessen“ vorbereitete, stiegen wir drei schnell ins Tal ab, kauften Brot fürs Käsefondue sowie je eine Flasche Wein und Sekt und liefen die 8km mit 800hm in einem Mordstempo wieder hinauf. Damit war das Jahressportprogramm abgeschlossen und wir schauten dem Abendessen mit einem gesunden Bergappetit entgegen.
Der (Silvester)Abend im Winterraum wurde gesellig, nicht zuletzt weil noch zwei junge Tourengeher dazu kamen. Kurz vor Mitternacht stiegen wir zum davor ausgesuchten Platz am Hang auf und warteten mit kleinem Sichtfenster zum Tal auf das Jahreswechsel. Hier stellte sich heraus, dass die vorhandenen Uhren unterschiedlich gingen und wir nicht so recht wussten, wann es Mitternacht wurde. Als drumherum Feuerwerke zu donnern begannen, war es wahrscheinlich soweit…
20 Minuten brauchten wir für den Abstieg zur Hütte. Die ersten 20 Minuten des Jahres in einer Spur, die wir selber vorher gelegt hatten. Jahresbeginn mit Freunden in den Bergen – so wie wir es uns vorgestellt haben.
An der Hütte war noch viel los, dies störte uns aber nicht dabei, tief und fest einzuschlafen. Das Jahr 2014 war geboren. Ganz entspannt ging der Abstieg nach Latschau, länger zog sich die Fahrt nach Hause und viel zu wenig Zeit blieb fürs Schlafen vor dem ersten Arbeitstag. Aber die Woche war unterm Strich perfekt – wer beginnt das Jahr sonst sonnenverwöhnt und gebräunt?
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