13.09.-13.10.2008
Der Wetterbericht ist nicht erfreulich: Regen für die nächsten fünf Tage, ab 1300m Schnee. Wir sind aber in München, nur 50km von den Bergen! Also gestartet!!! Hinter mir – das Examen, das mich den ganzen Sommer kostete, vor mir -???
Aber eins nach dem anderen. Die Idee, richtig abzutauchen, kam vor einigen Monaten an einem der unendlich langen, mit verstaubten Büchern überfüllten Tag. Es fand sich auch ein „Opfer“, das es sich zutraute, einen Monat lang mein 120cm breites Salewa Mikra mit mir zu teilen. Der „Traumpfad“ schien perfekt als Route…Also vor uns:
- 580km (unsere Variante)
- Hindernis – Alpen
- 30 Tage Ferien
- Partnerin Julia (im Internet kennen gelernt, einmal getroffen)
Der Weg aus München nach Venedig ist bestens beschrieben und ohne Zelt machbar. Aus der natürlichen Neugier beschlossen wir aber, vielerorts parallel dazu zu gehen, unter anderem um die schon bekannten Wege zu meiden. Das Zelt kam mit, um uns die nötige Flexibilität zu verschaffen und weil viele Hütten ohnehin schon geschlossen waren (Start Mitte September).
Hier aus dem Tagebuch:
Tag 1: START!!!
Gestartet am Marienplatz, folgen wir der Isar. Julia und ich wussten nach zwei Stunden alles über die jeweils andere seit der Geburt… Es regnet ordentlich, die (absolut neuen) Stiefel sind noch trocken, doch es geht auf die Nerven. Wie der Rucksack auch… Zelten konnten wir unmöglich, verschanzten uns deswegen in einer Wehrbrücke – wie wird die Nacht werden?
Tag 3 „Kein Sonnenlicht, warte oder nicht…“
Ätzend: Es schneit, alles ist nass, es gibt nur einen Wunsch – sich bewegen. Julia scheint mit ihrem Rucksack nicht gut klarzukommen, was mich beunruhigt. Sind heute in den Voralpen angekommen und stiegen zur Brauneck-Hütte auf, dabei zum Teil mit der Seilbahn. Asche über unsere Häupte…Aber ich habe das Gefühl, dass Julia bereit ist, nach Hause zu fahren – der Regen hat sie geschafft. Und mir hat es schon gefallen, nicht alleine zu sein…
Gingen heute immer noch entlang der Isar. Der Weg ist nett, aber uninteressant. Die manchmal entgegenkommende Einheimische schauen erst auf unsere Schuhe (OK!) und dann erst ansprechen. Gehört, was wir vorhaben, in den Augen leuchtet Misstrauen und Zweifel am Erfolg auf, den sie uns so „herzlich“ wünschen. Sehen wir so grün aus?
Es schneit immer noch. Die morgige Etappe müssen wir schon umändern – auf dem Kamm hat man bei dem Wetter nichts vergessen. Und ich fürchte, das wird nicht das letzte Mal sein.
Tag 4
Am Morgen:
– Frühstück ist fertig!
– Eh, es tut uns leid, aber das hatten wir nicht vor…
– Wie jetzt?! Dann verlasst bitte das Haus, wir haben heute zu!
Noch sprachlos, tranken wir unseren eigenen Tee VOR der Tür und aßen je einen Müsliriegel. Kurz nach dem Start wurden wir von einem Einheimischen angesprochen, der uns detailliert ausgefragt, dann aber gut beraten hat. Ausnahmen (Brauneck-Wirt) bestätigen die Regel…
Tag 5 Das Leben wird besser!!!
Morgen, morgen hoffen wir sogar richtig die Sonne zu sehen!!! Die Umgebung sieht man noch nicht, aber schon die Bergpfade verbessern die Stimmung. Alles ist dreckig, der Boden rutschig, Sichtweite 30m, aber wir sind gut eingepackt und genießen jeden Schritt. Haben heute ca. 25km und 1000hm zurück gelegt. Sahen ein Dutzend Wasserfälle, die mit viel Freude bestaunt wurden.
Ansonsten ist alles OK. Nur am Abend wollten wir etwas abkürzen und bogen auf irgendeinen Trampelpfad ab. Wie lang wurden diese 500m! Kamen weder vor noch zurück! Die erste Regel steht also: Gibt es einen guten Pfad – nutze ihn!
Und es gibt viele Fragen. Es liegt bereits viel Schnee oben, die für morgen geplanten 2700m können wir vergessen. Gehen über eine 2100m-Scharte um. Doch was dort?
Tag 7
Start um 8 Uhr (um 7 wird es hell) und auf zur Eppzirler Scharte, ca. 2100m. Aufstieg vom Norden aus, Feingeröll, da drauf 10-30cm Schnee, manchmal Eis. Oben keine Sicht und stärkster Wind. Also schnell weg und ein langer, langweiliger Weg nach Zirl (590m) um die Vorräte aufzufüllen. Es wärmte nur der Wunsch, Rucksäcke liegen zu lassen und durch den Ort zu bummeln…
Das wurde auch umgesetzt, nachdem die Campingduschen ausreichend lang genossen wurden. Hier unten ist es übrigens fast gemütlich warm!!!
Mit Julia absoluter Frieden. Wir verstehen uns perfekt und sind sogar konditionell vergleichbar, wenn auch sie etwas schneller aufsteigt und ich dafür abends länger fit bin. Genial!
Tag 8
Liege im Biwaksack auf etwa 2100m. Daneben, im Zelt, Julia und X., der uns zwei Tage lang begleiten wird. Die Aussicht ist wunderschön: Überzuckerte Berge soweit das Auge reicht. Leichter Frost, gegen 20 Uhr wird es dunkel. Freiheit!!!!!
Aufgestanden um 6, losgegangen um halb acht. Hatten Probleme mit dem Weg – der Pfad war nicht passierbar nach dem letzten Sturm. Verspäteten uns deswegen zum Treffpunkt mit X. und waren nach der Kraxelei über liegende Baumstämme schon müde. X. übernahm die Führung und wir folgten ganz brav. „Meditiert er vor jedem Schritt?“ – Juia. So kam es uns vor, doch das langsame Tempo erlaubte es, den 1800hm Aufstieg heute trotz schweren Gepäcks relativ locker zu bewältigen.
Es ist richtig schön hier! Die Grenze des Grünen ist deutlich höher, als z.B. im Karwendel, wo ab 1800m nur Stein. Der Herbst hielt schon den Einzug und verfärbte das Gras; der für morgen geplante Sattel (2650m) sowie der Weg dahin sind komplett verschneit. X. meinte, wir werden sowieso früher oder später stecken bleiben deswegen, die Frage ist nur, wann…
Tag 9
In der Nacht war es warm, aber feucht. Der Schlafsack im Biwaksack war von einer dünnen Eisschicht überzogen… Wie geht es Julia in ihrem Daunensack? Am Morgen hatte es -7°C, doch nach einer Tasse Tee und angesichts der ersten Sonnenstrahlen war ich nur noch glücklich.
Das erste Ziel war der 2650m hohe Sattel. Der Aufstiegsweg war rutschig und teilweise vereist, oben wurden wir aber mit einem Wolkenmeer unter den Füßen belohnt. Oben ließen wir Rucksäcke liegen und stiegen ca. 100hm zum Nachbargipfel auf. Was für ein genialer Tag!
Von oben sahen wir noch zwei, die auf unserem Aufstiegsweg ihre Fahrräder hochtrugen. Tja, Menschen sind rätselhafte Wesen… Ich kann mir nicht vorstellen, dass es möglich ist, bei diesen Verhältnissen irgendwo abzufahren. Vielleicht haben sie keine Rucksäcke zum Trainieren?
Auf uns warteten noch fünf Stunden Weg im Nebel. Denken muss man nicht: Die 7-Meter-Sicht erlaubt keine Abstecher. Kalter Wind dringt bis zu den Knochen ein und verbietet Pausen. Wir überholten zwei Gruppen und verzichteten aufs Mittagsessen – heute wird in der Franz-Senn-Hütte eingekehrt, viel Energie brauchten wir also nicht.
Die Sicht besserte sich langsam. Sanft wellte sich der Pfad um den Hang, auf dem rötlich-braunem Gras lag eine Schicht Reif. Wir schienen ganz allein in dieser stillen Welt zu sein, und bewunderten die herbstliche Schönheit des Stubai.
Die Hütte liegt am Bach, das unterhalb davon 50m in die Tiefe stürzt und Energie spendet. Heute wird geduscht – warm!!! Noch gewaschen und, hoffentlich, getrocknet. Drinnen verstanden wir, dass das einsame wandern zu Ende ist: das Häuschen ist voll. Überrascht sah ich eine Sportkollegin aus Bonn – die Welt ist klein! Der Abend verging sehr gemütlich beim Essen (endlich kein Tütenfutter!) und Spielen. Idylle!
Tag 10 Franz-Senn-Hütte – Neue Regensburger
Noch ein Wandertag und ich werde 22… So soll es immer gefeiert werden! Wir verließen die Hütte als erste, obwohl die Etappe mit vier Stunden nur ganz kurz werden sollte, und stiegen zum Basslerjoch (2830m) hoch. Das Wetter war grau, aber trocken, die Aussicht auf Stubaier Gletscher beeindruckend und der Pfad noch ganz leer (da früh). Oben wurde eine Festmalzeit gekocht und noch ein paar Meter rauf gekraxelt.
Tag 11
Angefangen zu schneien hat es noch gestern. Wir wurden auch direkt gewarnt, dass der Übergang zur Dresdner Hütte (2880) vereist ist. Wir berieten uns mit anderen Stubaier Höhenweg–Anwärtern und entschieden uns, enttäuscht, abzusteigen. Heute früh befreite der Neuschnee aber von dem letzen Zweifel und wir hatten das Vergnügen durch das Grobgeröll abzusteigen ohne sein Relief sehen zu können.
Wir entschieden uns ein Tal östlicher zu gehen um dadurch etwas Wetterunabhängigkeit zu gewinnen (max. Höhe ca. 2400m). Gesagt – getan und am Abend bauten wir unser kleines Zuhause im Platzer Wald auf. Dafür wurden ein paar Kilometer mit dem Bus zurück gelegt, was die Strecke insgesamt aber nicht verkürzt hat.
Interessanterweise gibt es hier nicht eine Spur vom Schnee! Es sind aber nicht mehr als 10km Luftlinie und kaum Höhenunterschied zur der N. Regensburger Hütte! Ansonsten ist alles OK, alle Bewegungen sind perfektioniert, alle Sachen dort, wo sie hingehören. Machen uns nur ein paar Gedanken über den Forster, denn wir gerade getroffen haben. Ein leuchtend gelbes Zelt auf 1600m in seinem Wald wird ihm wohl wenig gefallen. Verzichten deswegen aufs Kochen und legen uns direkt schlafen.
Tag 12
Auf dem weichen Walduntergrund schliefen wir wie die Göttinnen. Mit dem ersten Licht krochen wir aber doch raus. Fasse das Zelt an – trocken. Schaue raus – blauer Himmel!!! Warum, warum legten wir keinen Pausentag ein und blieben nicht im Stubai???
Standardfrühstück, dann 1600->2300m und eine schöne Kammwanderung gen Süden. Überrascht der so sanfte Landschaftscharakter hier: Flache Hänge, viel Grün (vor allem die schon angefrorenen Preisel- und Heidelbeeren), kein Geröll usw.. Nach dem Mittag am schönen Lichtsee kamen wir zum Obernberger See und zur Hütte, wo wir gern die nächste Nacht schlafen wollten. Diese war aber ein Gasthaus und uns zu teuer, deswegen überlegten wir erstmal, was wir nun tun wollen.
Bis zur italienischen Grenze – drei Stunden rauf. Drumherum – Schutzgebiet und Zeltverbot. Und hier auch noch diese österreichische Militärtruppe, die uns interessiert beobachtet. Wollen wir ihnen einen Anlass zur nächtlichen Such- und Orientierungsübung geben? Nein, danke. Doch gerade ihr „Chef“ half:
„Wollt ihr nicht im Hause schlafen? Dort am Kinderspielplatz ist doch ein Wigwam!“ – lautes Gelächter, auch der Wirt ist dabei.
„ Einverstanden!“ – Stille. Nun gut, Offizierswort…
Im Nu stellten wir im Wigwam auch unser Zelt auf (der Älteste kam sogar zum beurteilen!) und diskutierten unter dem Kreuzfeuer der Blicke, ob und wie wir ins kalte Seewasser wollen. In diesem Augenblick wurde wieder laut gelacht: Wenn wir schon so selbstständig sind, ob wir nicht die Lust hätten, über den See zu rudern? Ja, ja und einmal JAAAAAA!!! (Das fragen sich mich, die Bootsfetischistin…)
Das Ganze war lustig und keineswegs schlecht gemeint. Dass wir aber alle anwesenden (ohne es zu wollen) belustigten, ist auch sicher.
Tag 13
Italien begrüßte uns mit stürmischem Wind und Eisgeschossen. Doch nach dem Abstieg nach Sterzing um die Vorräte aufzufüllen und den neuen Mitwanderer abzuholen, tauchten wir trotzdem in die Wärme des Südens ein. Dummerweise war es nur ein Donnerstag und ab 12 Uhr hatten alle Läden zu. No comment!!!
Tag 14
„Mädchen, Pause und essen! Und vergeßt nicht, Fotos zu machen!“ – Y., den wir in Sterzing abgeholt haben, kümmert sich um uns wie die Mutter. „Ich habe euch das gute Wetter mitgebracht, genießt das Leben!“ Das stimmt! Der Wind ist zwar stark und eiskalt, dafür das Blau des Himmels ohne dergleichen.
Am Morgen wurden wir ausgefragt, was wir hier mit dem Zelt tun. Dabei haben wir nicht verstanden, wer das war, woher kam und wohin ging. Wie eine gute Schauspielerin beschrieb Julia die Schmerzen im Fuß, weswegen wir nicht weiter gehen konnten. Sobald die “Gäste“ gingen, verschwanden auch wir, noch nicht wissend, dass dieser Tag der schönste in der ganzen Tour sein wird.
Sarntaler Alpen- wenig bekannt, wenig besucht. Im Schatten der Dolomiten liegend, bieten sie dem Wanderer deutlich mehr Ruhe und gute Ausblicke auf ebendiese Dolomiten, aber auch Stubaier Alpen im Norden, Zillertal im Nordosten… Der Herbst war schon deutlich zu spüren und trotz viel Sonne recht frisch. Wir bewegten uns auf bequemen Pfaden ohne viel Höhenunterschied und stiegen dann über Flaggerscharte zur Flaggerschartenhütte (2550m) auf.
Tag 15
Augen auf – Sonnenaufgang! – und laufe in T-Shirt und Sandalen auf den nächsten Hügel, es gerade zu den ersten Strahlen an diesem zauberhaften Morgen geschafft. Was für eine Stimmung! Aber der Frost zierte nicht nur Graß mit Reif, sondern färbte auch meine Haur blau, also kehrte ich zur Hütte zurück. Keine halbe Stunden später waren wir aber schon unterwegs und stiegen auf die Jakobsspitze auf (2742m). Was für eine Aussicht! Und immer noch dieser perfekt blaue Himmel!!!
Wir verließen nun die Route, die als Sarntaler Hufeisentour bekannt ist. Stiegen in Richtung Westen ab, um morgen in die Dolomiten aufzusteigen. Und legten noch eine Menge Kilometer zurück, eher wir uns an einem Zeltplatz im Tal (bei Sarnes) niederlassen konnten.
Tag 17 Dolomiti
Y. verließ uns und nahm das gute Wetter wieder mit. Wir kehrten zum normalen Tagesablauf zurück, der sich in den letzten Tagen schön lockerte. Aber egal wie zügig wir gingen und alles Geplante umsetzen wollten – das Wetter ist nun mal mächtiger. Außerdem war die Hütte unterhalb des Piz Boe (3150m) schon geschlossen; schlafen in unseren Schlafsäcken dort wäre viel zu kalt. Deswegen beschlossen wir, wieder einmal anders zu gehen und wählten erstmal den Dolomiten Höhenweg Nr1.
Gestern hatten wir eine interessante Begegnung. An einer Hütte angekommen, waren wir versucht, dort zu übernachten, doch sie war schon offiziell geschlossen. Die Wirtin – eine schöne ältere Frau mit weißer Haarpracht – bot uns aber an, im Nebengebäude im Heu zu schlafen, was wir gern angenommen haben. Dabei sprach sie im Südtirolerdialekt mit zwei Männern, die wir als Hirten einstuften. Währenddessen kam ihre Tochter und alle viel gingen auf Italienisch über. Mit uns wurde gutes Deutsch gesprochen.
Doch als wir uns im duftenden Heu einrichteten, fiel mir auf, dass ich vom Gespräch der beiden (Männer) gar nichts verstehe. Mehr sogar, ich wusste nicht einmal, was für Sprache das ist!!! Die Lösung kam beim Frühstück: Es war Rätoromanisch und die beiden sind wandernde Maler…
Langsam werden Deutschsprechende eine Seltenheit. Und wir haben festgestellt, dass wir kein Wörterbuch mitgenommen haben. Die Hoffnung, jemanden zu treffen, der Englisch versteht, besteht nicht mehr. Und nur das alte gute Latein hilft ab und zu – ich kenne ein paar Worte und Julia etwas Grammatik…
Tag 19
Wir laufen Kilometer für Kilometer, doch besonders interessant ist es nicht. Das Wetter – grau. Höhenprofil – 1500-2300-900m. Wollten in einem Camping übernachten, der war aber seit Vortag geschlossen – gut, dann müssen wir halt nicht zahlen J In den Wäldern drum herum röhren die Hirsche, was wirklich nichts für schwache Nerven ist. Dazu die Atmosphäre eines in der Zwischensaison (Oktober) wie ausgestorbenen Ferienortes und man kann ein Horrorfilm drehen. Wir quartierten und illegalerweise im Vorzelt eines leer stehenden Wohnwagens ein und genossen sein (Sicht)Schutz.
In der Zwischenzeit:
Tag 23
„Regnet es noch?“
„Nein, es regnet nicht. Es schneit.“
„Rauf oder runter?“
„Warte, ich schaue noch mal raus“.
Wir schliefen in einer Biwakhütte 500hm oberhalb des Ortes Alleghe.
„Und?“
„Nichts Neues“
„Rauf?“
Hach, diese weise Entscheidung. Ich weiß nicht, wovon ich mehr nass war – vom Schneeregen oder der 100% Feuchtigkeit, sprich vom Schweiß. Kurz danach:
„Hast du es auch gehört?“
„Ja“
„Aber Gewitter bei der Temperatur???“
Auf einen Anlass, abzusteigen, haben wir, ehrlich gesagt, gewartet. Dauerte diese Plackerei aber noch vier Stunden, eher wir, nass und schmutzverschmiert, wieder unten waren, seit gestern keinen einzigen Kilometer weiter. Die Stimmung im Keller, Motivation lässt sich nicht sichten. Julia hat eine Kontaktlinse verloren und schweigt.
Wir gehen eine Straße durch eine Schlucht lang. Wie viel Wasser passt in den Himmel rein? Denke an Venedig. Kommen zu irgendeinem Dorf, weiter ist die Straße asphaltiert. Einen Dorf weiter sehen wir einen Bus mit der Überschrift „Belluno“ und bewegen uns ohne etwas zu sagen zu ihm.
30km – und der Plan, den ganzen Weg zu Fuß zurückzulegen, ist ruiniert von uns selbst. 30km! Doch das werde ich erst in der Wärme eines kleinen Hotels für 17 Euro/Nacht mit Frühstück verstehen. Momentan sitzen wir aber noch im Bus und verabschieden uns von den Alpen, die langsam, aber sicher hinter uns bleiben. Die Gegend erinnert an die trockenen Berge der Krim, ukrainischer Halbinsel im schwarzen Meer. Oder an Mallorka. Und vorne unerbittlich wächst die Stadt.
Keine 30min später stiegen wir mitten in Belluno aus. Schmutzig bis zu den Hüften und immer noch nass bis zu den Knochen. Fühlten uns, wie die Aliens vorm Brandenburger Tor. Doch in der Touristeninformation wusste man direkt was wir brauchen und bald manövrierten wir in einem Hotelzimmer zwischen den hängenden Schlafsäcken, Zelt, Kleidung usw. Wir hatten wirklich kaum etwas, was nicht nass oder mindestens klamm war.
Der Rest des Abends war dem Essen gewidmet – was denn sonst. Wir fanden noch eine offene Pizzeria und sogar ein aufdringlicher Italiener störte uns dabei nicht, das Leben zu genießen.
Tag 24
Belluno liegt auf ca. 350m ü. M.. Wir sind auf 1800m aufgestiegen, wobei es unten heiß was, auf 1300m trafen wir welche auf Snowboards und oben ankamen war das Wasser in den Flaschen zugefroren. Auf dem Rücken dieser Voralpenberge erstarrten die Kriegsbauten der alten Zeiten, die jetzt teilweise vom Fernsehen benutzt werden. Die Atmosphäre ist unheimlich.
Ein Gebäude wird im Sommer als Refugio 5. Artilleria bewirtschaftet. Wir waren natürlich zu spät, wollten aber unbedingt oben übernachten. Und da der Wind für eine Zeltübernachtung am Kamm zu stark und die Terassentür offen stand, machten wir es uns dort gemütlich. Haben die größten Löcher zugestopft und fertig. Der Wind pfiff zwischen den Antennen, wir genossen den Sonnenuntergang und leisteten Gesellschaft einem kleinen Edelweiß auf der Fensterbank.
Von hier sieht man übrigens das Meer! Man sieht aber auch den Weg: 100km Luftlinie durch die Piave-Ebene, die flachste von allen von mir gesehenen…
Tag 26
Gestern gab es noch ein wenig Auf und Ab, heute ist es nur noch flach. Wir bewegen uns vorwärts und versuchen das Kilometerzählen uns selber nicht zuzugeben. Landschaft-Steppe, die Sonne hat wohl beschlossen, uns endlich mal aufzuwärmen nach diesen ungewöhnlich kalten drei Wochen. Problematisch war nur, einen Zeltplatz zu finden. Wir sprechen ja so gut wie gar kein Italienisch! Im Endeffekt erklärten wir mit Händen und Füßen, was wir wollen und durften bei einem Bauer auf dem Feld übernachten. Und heute früh brachte uns ein kleines Mädchen Milch und Käsebrot…
Tag 28
Gestern:
Dass etwas nicht stimmt, verstanden wir schon mittags. Obwohl wir bis zur ersten Pause schon 20km zurücklegten, wollte keine von uns essen. Blieben etwas länger im Schatten liegen – schließlich war es auch nicht schlecht, das nasse von der Nacht Zelt richtig zu trocknen. Dann ging es weiter, aber irgendwie ruhig. Ich dachte, das käme von der Hitze. Kein Schatten, an solche Temperaturen sind wir nicht mehr gewohnt. Also kein Wunder, dass wir Kopfschmerzen haben. Mehr trinken und alles wird gut.
Bis zum nächsten Dorf waren es noch 2 Stunden. Aus letzter Kraft sprachen mit dem Feldbesitzer und auf dem Boden kriechend bauten das Zelt auf. Warum kriechend? Es geschah etwas Unvorstellbares: Stehen konnten wir nur an einem Baum. Rollten Isomatten auf und legten uns hin, froh, uns nicht mehr bewegen zu müssen. Jetzt war alles gut – bis zu dem Zeitpunkt, wenn man versucht, bleischwer gewordene Lider zu öffnen. Hitzeschlag verlor an Überzeugungskraft. Ich dachte an alle möglichen Keime, ihre Toxine, Insektizide usw., fand aber keine plausible Erklärung und gab schließlich auf.
Heute:
Die Nacht, und mit ihr das Nichtbewegen, verging. Ich versuchte mich anzuziehen, doch vor den Augen flimmerte es nur. Julia weinte leise in der Ecke. Zwei Stunden später haben wir es doch geschafft und legten 300m mehr oder weniger geradeaus, um sich außerhalb der Sichtweite des Bauers wieder hinzusetzen. Das Ziel war klar und indiskutabel – die 4km weit entfernte Ortschaft, wo es einen Bahnhof und bestimmt auch einen Arzt gibt.
Langsam verbesserte sich unser Zustand aber soweit, dass wir nicht mehr zum Arzt wollten. An das Wandern war aber immer noch nicht zu denken und wir setzten uns für die letzten 50km in den Bus. Dann noch 700 lange und anstrengende Meter zum Campingplatz und das war es. Venedig, Meer, aus, vorbei.
Tag 29
Zwei Kranke im Sanatorium 🙂 Wir spazierten am leeren Strand und genossen die Meeresluft. Für Venedig selbst waren wir noch zu schwach.
Das ist nicht schön, am Ende so einer Tour krank (so krank!) zu werden. Gerade jetzt, wenn wir scheinbar stärker und ausdauernder wurden…
Tag 30
Venedig, was für eine Stadt!!!
Tag 31
„Wollten wir nicht um 6 los?“
„Wir müssen sogar!“
„Aber es ist doch schon 05:45!!!“
„Auweia….Schaffen wir!“
Ja, der Monat ging nicht einfach so vorbei – in 13 Minuten wurde das Zelt abgebaut, Schlafsäcke, Kocher und alles andere eingepackt. Und es fing die Epopea „Nach Hause“. Fähre-Zug-Mitfahrgelegenheit (inklusive eines Auffahrunfalls und zwei Stunden Warten auf die italienische Polizei)-Zug-ein paar Stunden Schlaf bei einer Freundin- wieder Züge und Umstiege… In München verabschiedete ich mich von Julia – sie muss in die komplett andere Richtung. Und für mich ging es schon am nächsten Tag eine völlig neue Welt. Aber was für Ferien!
___________________________________________________________________________
Alle Fotos: