„Jetzt aber etwas, wo wir gute Chancen auf den Gipfel haben“. „Chopicalqui?“ „Gern!“ – gegen 18 Uhr Abends stand das Ziel für die nächsten Tage fest, inklusive Anreise und Essensplan für vier Tage. 21 Uhr: „Oh nein, das Wetter am Chopi soll schlecht werden, es schneit jeden Tag…“ „Hm, und im Nachbar-/ Parón-Tal? „Besser, lass und dort hin fahren!“ „Passt, aber das mit dem einfacheren Ziel erledigt sich wohl…“
Anreise:
Von Caraz aus in rund 2h zum Parón-See auf 4100m Höhe. Kostenpunkt: 150-180 Soles pro Wagen. Die Straße ist in einem schlechten Zustand, es fahren aber normale Taxis hoch. Auf dem Rückweg sind wir für 30 Soles/Person bei anderen Touristen mitgefahren (erst 6, dann 8 Personen im Wagen, s. unten).
Schwierigkeit:
Der Normalweg aus dem Parón-Tal wird mit AD bis D und IV° angegeben. Von den Gesamtanforderungen her (Eisbruch) eher D.
Charakter:
Lange, anspruchsvolle Hochtour im spaltenreichen Gelände. Auf dem Grat z.T. gemischte Kletterei. Abenteuerlicher Bergschrund (erst recht wenn die Schneebrücke eingestürzt ist – nach uns).
Besonderheiten:
1) Anspruchsvolle Wegführung u. a. vor dem BC (s. unten)
2) Eher wenig los
3) Mehrere, allesamt anspruchsvolle Gipfelmöglichkeiten von einem Tal aus (Artesonraju, Nevado Parón, Piramide, Caraz I und II)
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So stiegen wir am kommenden Morgen, nach zwei Pausen- und Krankheitstagen in Caraz, erneut in ein Taxi und fuhren von 2300m auf 4100m hoch. Am Parón-See ausgestiegen, erwartete uns ein wunderschönes Panorama, das auf die flache Wanderung zum Basislager neugierig machte. Die Rucksäcke waren wieder schwer: Wir planten länger im Tal zu bleiben und hatten Essen für 10 Tage mit. Es gibt am See übrigens auch ein kleines, kostenloses, bewachtes Refugio, allerdings mit unappetitlichen Toiletten und sehr bescheidenem Matratzenlager. Das einzig Attraktive: Es gibt Bier, Coca- und Inka-Cola.
Der Weg am nördlichen Seeufer – südlich sollte man es lieber nicht versuchen – ist verhältnismäßig flach und bequem. Da in Folge der Erwärmung der Wasserpegel gestiegen ist, verschwindet der Pfad im letzten Viertel jedoch unter Wasser und man ist gezwungen, in den steilen Grashang auszuweichen. Es gibt einen schmalen Trampelpfad, insgesamt ist die Angelegenheit mit schwerem Gepäck jedoch ziemlich heikel. Auf dem Rückweg nahmen wir einen Eisgerät statt Stock in die Hand – so ging die Passage deutlich entspannter.
Es gibt zwei Basislager am Artesonraju: quasi am See und etwa 200hm höher. Der letztere liegt idyllisch am Bach im kleinen Wäldchen, bis auf ein paar Kuhfladen stört nichts das Campingmärchen. Dachten wir.
Zu dritt unterwegs, nahmen wir zu Beginn drei Zelte mit, von denen eins im BC blieb und zwei auf den Berg mitgenommen wurden. Diesmal entschieden wir uns für nur eins; ich würde im Biwaksack übernachten und notfalls quetschen wir uns zu dritt in das zweier-Zelt. Jetzt stand die erste Nacht an, es nieselte und ich verkroch mich in den neuen Biwaksack. Keine 15 min später war dieser von innen klatschnass – ich habe doch genug für die angegebene Atmungsaktivität bezahlt? Der Regen hörte zum Glück auf und ich legte mich auf den Sack, den nächtlichen Himmel mit Musik in den Kopfhörern bewundernd.
Aus dem Schlaf gerissen, richtete ich mich erschrocken auf: Ein Dutzend pechschwarze Schatten liefen geradeaus aus dem Nichts über den Zeltplatz. Irgendwann identifizierte ich Kühe. Halbwilde Tiere tranken aus dem Bach und verteilten sich im „unseren“ Wald. Einige streiften das Zelt, andere interessierten sich besonders für meine Füße und ließen sich nicht vertreiben. Mehrfach schlief ich ein und wachte auf, weil in kaum einem Meter so ein Ungeziefer graste.
Am Morgen frühstückten wir gemütlich – es gab frisches Obst und Käse, sortierten die Sachen und stiegen die Moräne hinauf. Ich dachte, mit Verbesserung der Akklimatisierung wird es einfacher? Nicht wirklich: Immer noch schwitzten, keuchten und fluchten wir unter den Rucksäcken….
Zum Glück war die Moräne bald geschafft und uns öffnete sich ein beeindruckendes Gletscherpanorama. Die Steigeisen verließen den Rucksack, ein Seil war aber nicht nötig – musste also weiter hochgetragen werden. Parallel zu einer geführten Gruppe – für zwei österreichische Bergsteiger waren ein Guide, ein Guide-Assistent, ein Koch/Träger und ein Träger dabei – stiegen wir in knapp zwei Stunden gemütlich zum Hochlager auf und bauten das Zelt auf. Das Wetter hat sich inzwischen verschlechtert: Es graupelte. Ich bereitete wir deswegen das Biwak vor, besuchte aber erstmal die Jungs in ihrer etwas besser geschützten Behausung.
Am nächsten Tag schliefen wir aus und starteten erst am späten Vormittag, um zum anvisierten Biwak 500hm oberhalb des Hochlagers zu kommen. Wir haben mehrfach gelesen, dass es langwierig und nicht einfach ist, nachts durch den Eisbruch zu kommen; das Umherwirren der Stirnlampen der Österreicher mit Guides in der letzten Nacht sprachen auch eine deutliche Sprache. Wir suchten uns bei Tageslicht eine, sich von der der anderen unterscheidende, Linie aus und legten los…
Die Landschaft war grandios. Gewaltige Eismassen, Séracs, riesige Spalten – und wir, drei Ameisen am Seil, mittendrin. Wir kletterten einige steilere Passagen und suchten uns einen Weg durch dieses Eiswirrwarr. Plötzlich merkte ich als Seilletzte den Seilersten kurz zögern – das heißt meistens nichts Gutes – und ganz vorsichtig weiter gehen. Den Seilzweiten hörte ich kurz darauf erstaunt fluchen – sehen konnte ich ihn nicht hinter dem Aufschwung – und spürte ein Zug am Seil. Im ersten Augenblick dachte ich, dass er gesprungen ist und Seil braucht; ich versuchte daher, einen Schritt nach vorne zu machen. Doch das war nicht nötig: Mich warf es sowieso in den Schnee und zog einen Meter bergauf nach vorne, bis ich mich halten konnte. Nun gab es keine Zweifel: Der Kollege entdeckte gerade die geheime Spaltenwelt unter der Gletscheroberfläche.
Mit einfachem Zug kamen wir nicht weiter – das Seil fräste sich nur tiefer ins Eis hinein. Ans Eis, um eine Eisschraube als Fixpunkt zu setzen, kam ich nicht ran, bzw. müsste sehr tief graben. Als ein 100kg-Sicherungsanker tiefer im Hang war ich aber gut zu gebrauchen und Lukas, der sich oberhalb der Spalte befand und besser ans Eis ran kam, baute in Ruhe einen mehrfach umgelenkten Flaschenzug. Danny kam mit einem gehörigen Schrecken, ansonsten aber unbeschadet wieder an der Oberfläche an und bestaunte die von ihm eingestürzte Schneebrücke.
Weiter ging es doppelt vorsichtig durch recht tückisches Gelände. Nach gut vier Stunden – für 500hm, das soll die normale Zeit sein! – turnten wir eine steile (60°?) Schneepassage hinauf und sahen unter einem Sérac einen idealen Biwakplatz. Fast flache 2x5m, ein starker Überhang als Schutz und das Ganze 20m von der eigentlichen Route bzw. Grat entfernt – was will man mehr?
Am Morgen starteten wir mit dem ersten Licht. Es war kalt und zügig, dazu hatte es die erste Querung in sich. Danach Hände aufzuwärmen war eine ordentliche Leistung, irgendwann legte sich der Wind aber und wir genossen den Aufstieg.
Es gab mehrere Türmchen mit gemischtem Gelände zu überklettern. Lukas stieg alles souverän vor, das spezielle an Gratklettereien ist aber, dass auch die Nachsteiger richtig ran dürfen. Dann war der Grat zu Ende – wir haben noch keine 100m Höhe gewonnen – und es ging im mal mehr (60°), meist aber weniger steilem (40°) Schnee weiter. Insgesamt scheint es so, als ob würde das Begehen von 60° steilen Schnee- und Eisflanken zum absoluten Basiskönnen für die Cordillera Blanca gehören.
Am Bergschrund ging Lukas vor als ob nichts wäre – dabei sah die einzige Schneebrücke ziemlich fragil und sehr luftig aus. Um anschließend aufs Eis zu kommen, musste man außerdem einen Miniüberhang hinaufklettern. Er kam an, schlug einen der inzwischen lieb gewonnenen Firnanker ein und sicherte mich nach. Ich meisterte es mit maximaler Vorsicht ebenfalls ohne Probleme, doch Danny, 15kg leichter als ich und super trittsicher, hatte wieder Pech mit der Brücke…. Zum Glück konnte er sich diesmal rechtzeitig nach oben retten.
Das Wetter änderte sich und wir machten uns Sorgen. Jeden Tag zog es mittags zu, das wussten wir, doch heute geschah es früher und wir waren in der Mitte dieser Suppe. Man sah nichts, es war kalt und windig. Nach ein paar weiteren Seillängen – technisch nichts weltbewegendes, Schneehänge um 50°, wir sicherten provisorisch mit Firnankern – fragten wir uns, ob es noch sinnvoll ist, weiter aufzusteigen. Wir hatten einen langen, technischen ( bis IV°) Abstieg vor uns und nur einen Biwak als Ziel – da sollten die Reserven noch vorhanden sein. Das wissend bei Nebel und kaltem Wind weiter aufzusteigen schien nicht optimal, wenn nicht zu sagen falsch.
Nach dem Umdrehen und damit Beginn des Abseilens wurde es uns erst recht kalt. Am Bergschrund hieß es, in die Kluft abgelassen zu werden bzw. abzuseilen, zu pendeln und zu versuchen, ans richtige „Ufer“ zu gelangen um hinauf zu klettern. Auch die Türmchen mussten wieder übergeklettert werden – wir waren gut beschäftigt. Selbst in Daunenjacke war es frisch, die Sicht war unterhalb der Wolken aber wieder besser.
Am Biwakplatz angekommen, machten wir es uns wieder gemütlich. Inzwischen war es auch hier unten neblich, windig und graupelte, „unser“ Serac schützte uns aber so weit, dass wir keine Biwaksäcke brauchten. Die Nacht war warm und gemütlich – endlich waren wir ausreichend akklimatisiert, um am Berg zu übernachten.
Am Morgen hieß es, direkt vom Schlafplatz abzuseilen. Es folgten ein paar weitere Abseilstrecken, unter anderem über größere Spalten, doch bald wurde es flach genug für den normalen Abstieg. Und hier begann das richtige Abenteuer…
„Spring!“- meinte Lukas, der mal wieder unbeschadet über ein schwarzes Loch drüber kam. Ich konnte jedoch nicht annähernd die Grenzen der Spalte ausmachen und sah mich nach dem Sprung mitten drin landen. Ich setzte mich daher hin, nahm ein wenig Anlauf auf festem Boden und rutschte drüber. Danny wiederholte meine Taktik und auch mehrere weitere, immer schlecht abgrenzbare, Spalten überwanden wir quasi kriechend.
Einmal hieß es „keine Sorge, da ist keine Spalte drunter, nur wird es danach ziemlich steil“. Im selben Augenblick merkte ich den weichen Schnee sich senken und warf mich schnellstmöglich auf den danach kommenden steilen Abwärtshang. An der Stelle, wo ich noch Sekunden davor stand hat sich inzwischen alles eingestürzt und Danny als Seilletzter hatte viel Spaß, über das schwarze Nichts zu kommen.
Wir sprangen, krochen, seilten ab und waren ständig auf der Hut. Zu dritt am Seil hatten wir gute Chancen, einen Sturz zu halten, doch in die Situation wollten wir nicht (wieder) kommen. Die Landschaft war großartig, die Sonne wärmte uns langsam auf und es wurde gemütlicher.
Unten packten wir zusammen und stiegen zum Basislager ab, wobei sich der Gletscher ordentlich in die Länge zog. Dort fanden wir unsere Essensvorräte wieder und plauderten mit der vor uns abgestiegenen Gruppe. Ihr Bergführer erkannte mich und erinnerte sich sogar an meinen Namen – so klein ist die Welt! Am Artesonraju haben wir uns nämlich nicht gesehen (sie kamen nicht über das Hochlager hinaus. Von insgesamt sieben Gruppen in fünf Tagen kamen wir am weitesten.)
Der restliche Abstieg verlief entspannt. Für die ausgesetzte Grashangpassage nahmen wir einen Eisgerät in die Hand und der Abschnitt wurde wesentlich einfacher.
Etwas wehmütig ging es zurück zum Ausgangspunkt, wo wir direkt von einem Taxifahrer aufgelesen wurden. Er hat zwei Franzosen zum See gebracht und wollte sie und uns runter bringen. Soweit ideal – nur ich zählte nun sechs Personen. „Kein Problem“ meinte der Fahrer und ließ uns, eine Woche lang ungeduscht, zu viert hinten einsteigen. Zum Glück waren die beiden Franzosen ebenfalls Bergsteiger und nicht überempfindlich.
Auf dem halben Weg nach unten hielten wir in einem Dorf an. Der Fahrer stieg aus, ging nach hinten und öffnete den Kofferraum mit unseren drei Rucksäcken. Zwei Kinder, etwa 7- und 10-jährig kletterten hinein und blieben unbequem und still auf den Rucksäcken liegen. Behutsam fuhren wir weiter und dachten, dass wenn man es entspannt sieht, noch ein paar Personen locker reinpassen würden…
„Wo soll ich Sie hin bringen?“ „Kennen Sie ein Hostel hier?“ „Mit oder ohne TV?“ „Ohne“ „OK!“ So einfach wurde die Unterkunft geklärt. Wir verteilten unsere unfassbar dreckige und verstaubte Sachen auf dem sauberen Boden und versteckten uns nacheinander in der Dusche. Das Abenteuer „Peru“ war so gut wie zu Ende, nur noch wenige Tage Sightseeing und der Flieger steigt….oder doch nicht? Schon beim Mittagessen hatten wir einen anderen Plan und eine Stunde später war die nächste rumpelige Taxifahrt vereinbart… doch das ist schon die nächste Geschichte 🙂