02.-03.06.18
Warmer, trockener Fels, luftige Stände und das Klettern um des Kletterns Willen haben bei mir endgültig Wurzeln geschlagen. Dieses Jahr bot es sich an, die technischen Skills im Steilen auszubauen, denn das einzig Stabile am Frühjahrswetter war seine Instabilität. Wochenende für Wochenende strichen mein Seilpartner Lukas und ich unsere Bergpläne und fuhren irgendwohin, wo möglichst wenig Regen zu erwarten war. So auch kurz vor diesem Wochenende: Eigentlich haben wir uns auf die schnell trocknenden Südseiten der Tannheimer Alpen festgelegt. Eigentlich.
„Sag mal, was hältst du von der Breithorn Nordwand?“ – wie immer an entspannten Tagen, wurde ich am Donnerstagfeiertag schnell übermütig. Auf der anderen Seite der Leitung wurde es kurz still. „Ähm, wenn du meinst, die Verhältnisse könnten stimmen?“ Läuft! Wenn meinen Seilpartner und mich eins eint, dann die konsequente Umsetzung der Schnapsideen.
Voller Nachtbus, Umstieg in die Bahn, dann die Seilbahn und noch 20min zu Fuß zur Gandegghütte. Wir bzw. Lukas spurten noch eine Weile in Richtung des Einstiegs, drehten dann um und quartierten uns gemütlich auf der Terrasse der noch geschlossenen Hütte. Neben uns zelteten zwei Schweizer, zwischendurch kam eine Münchner Seilschaft vorbei – für uns überraschend waren wir nicht die einzigen, die das Breithorn ansteuerten. Nach einer Nacht im Bus freute ich mich aber, mich bald trotz der segnenden Sonne in das Reich der Träume zu begeben und schlief ein.
Mitternacht, der Wecker schreit. Es ist diesig, blitzt ununterbrochen und fängt an zu regnen. Wir verziehen uns unters Hüttenvordach und schlafen weiter. Eine Stunde lang. Dann noch eine und noch eine…. Um kurz nach 4 Uhr ist es aber soweit – wir laufen los. Der Schnee ist immerhin leicht angefroren, die Münchner sind bereits unterwegs und auch die Schweizer wie wir fast startklar.
Relativ schnell bis zum Einstieg gelangt – es ist gemein, wenn der Gewichtsunterschied zum Seilpartner exakt ausreicht, damit man im Bruchharsch bei jedem Schritt einbricht während der andere einfach drüber läuft – ging es bergauf. Die Münchner haben wir eingeholt, sie querten jedoch in die Supersaxo-Route rüber. Die schweizer Seilschaft stieg zügig per Ski zu und eine einladend ausschauende Rinne auf; wir hatten die Originalroute nur für uns.
Die Verhältnisse waren inhomogen. Mal oberschenkeltiefes Wühlen, mal Blankeis. Wir querten etliche durch Nassschneerutsche entstandene Rinnen und Rippen; die Stimmung schwankte zwischen der Freude, hier mittendrin zu sein und den berechtigten Zweifeln, bei dem weichen Schnee weiter nach oben zu gehen. Zwischendurch zog der Himmel zu und der Wind machte die Unternehmung ungemütlich und mir einfach Angst.
Am Ende des ersten, 300-400hm hohen Schneefeldes querten die Schweizer in unsere Linie und wir waren überglücklich über die Spur. In der Rampe war der Schnee fest und angenehm zu gehen, zudem erlaubte die moderate Steilheit (45-50°) ein recht gemütliches Zickzacksteigen. Doch schon am Ende der Rampe trafen wir auf die Schweizer wieder: Der Schnee sei oben zu tief, das Spuren zu mühsam.
Der Hang setzte sich, wir zuckten zusammen. Ich habe gerade die ersten Meter der 60° steilen Flanke erkämpft und kletterte nun auf leisen Sohlen wieder ab. Krisenberatung. Wenn sich hier auch nur ein minimaler Schneerutsch löst, haben wir, oberhalb des senkrechen Abbruchs, keine Chance. Normalerweise sind wir äußerst schreckhaft, was die Bedingungen angeht, doch irgendwie war das Bauchgefühl gut. Die Schneedecke war dick und homogen, auch wenn wir bei jedem Schritt über die Kniehöhe einbrachen. Ich querte in die Mitte der Flanke, fort vom Übergang zum eingewehten Bereich, und kroch wieder hoch.
„Ich bin eine Spinne, eine weiße Spinne…“ Tja, die Gedanken beim Steigen sind manchmal etwas speziell (zudem bis ich der „Spinne“ gewachsen bin, dauert es noch ein-zwei Leben). Das Schneefeld wollte kein Ende nehmen, ich schaffte nur 20-25 Schritte am Stück und wagte es kaum, nach oben zu schauen. An den nächsten Felsen übernahm Lukas und ich genoss es, in seiner Spur zu steigen. Dann tauschten wir wieder, bis auch das nächste Schneefeld zu Ende war. Inzwischen wäre der Weg zurück um einiges länger gewesen als der hinauf, trotzdem checkte ich regelmäßig die Lage und fragte mich, ob ich hier gut abklettern könnte, wenn wir warum auch immer nicht weiter kämen. Die Lust dazu hielt sich zwar in Grenzen, problematisch sollte ein Abstieg jedoch nicht sein.
An den Felsen fiel mir schlagartig auf, wie lange wir keinen Fixpunkt mehr hatten – seit dem Beginn. Umso angenehmer waren die zwei eingebauten Friends und die Lukas` Bereitschaft, den Mixed-Part zu übernehmen. Ich fror in der Zwischenzeit leicht in die Felsen ein und schaffte es im Nachstieg, die rekordverdächtigen drei Mal meine Finger auftauen zu müssen – jedes Mal mit den obligatorischen Übelkeit und Schwindel.
Auch die zweite, kaum abzusichernde, Mixed-Länge ging Lukas vor. Hier holte uns die Münchner Seilschaft ein, die in unserer Spur zügig die Schneefelder hochlaufen konnte, davor aber auch genügend Tiefschnee abbekommen hat. Es wurde ein sehr angenehmes, lustiges Zusammensteigen, obwohl wir eng beieinander gegangen sind – so gehört sich das! Nach der zweiten Seillänge gab es einen „Stand“ an einer bis auf 2cm eingedrehten Eisschraube – Lukas` Nerven sind aus einem mir unbekannten Material… Doch bevor er eingreifen konnte kraxelte ich weiter bzw. vor und hatte bereits nach einigen Metern Blankeis und damit den gewünschten Fixpunkt.
Das Ausstiegsschneefeld verlangte uns den Rest ab. Wie schon in der Pisco-Südwand fragte ich mich, ob es nicht einfacher wäre, einen Tunnel zu graben. Unakklimatisiert auf über 4000m, knie- bis hüfttief im weichen Schnee in einer zugegebenermaßen immer flacher werdenden Flanke (55°->45°) ging es gerade mal zehnschritteweise voran. Doch irgendwann war auch das vorbei und wir standen um kurz nach 14 Uhr auf dem Gipfel von Breithorn – 1,5h später als wir dort hätten sein müssen, damit die Rückfahrt funktioniert.
Im recht weichen Schnee, aber immerhin in einer ausgetretenen Spur ging es über den Normalweg zur Bahnstation und eine Station tiefer zum Trockenen Steg. Während ich so schnell wie es noch ging zur Gandegghütte stieg, um die Biwaksachen abzuholen, sprach Lukas mit Bahnmitarbeitern und wir durften tatsächlich noch mit der Betriebsfahrt ins Tal schweben. An der weiteren Rückfahrt hätte nichts schief laufen können, dachten wir…. So müde wie wir waren, würden wir doch tief und fest einschlafen und erst in Köln aufwachen. Doch unser Glücksengel an diesem Wochenende schien ein Eidgenosse gewesen zu sein und verließ uns ziemlich genau an der deutschen Grenze… jedenfalls wusste er nicht, dass uns ein schreiendes Kleinkind die ganze Nacht im Bus wach halten wird.
Breithorn Nordwand war eine geniale Tour. Die Bedingungen waren nicht einfach, das Wetter in der Nacht ebenso wenig und ohne Akklimatisierung wird einem in so einer Route eh nichts geschenkt. Umso schöner es ist, darauf zurück zu blicken und zu wissen, dass alles nicht nur technisch gut funktioniert hatte, sondern uns auch mit phantastischen Ausblicken über den Monte Rosa Gletscher sehr viel Spaß bereitet hat. Tolle Route vor einer grandiosen Kulisse!