Recherchiert man das Wort „Komfortzone“, findet man es in 99% der Fälle in Verbindung mit „verlassen“ und „überwinden“. Dabei werden gerade die Outdoorsportarten als Allheilmittel gegen diese vermeintlich böse, langweilige und zu bekämpfende Seite des Lebens aufgeführt. Doch ist da überhaupt etwas dran?
Wikipedia definiert die Komfortzone als einen „durch Gewohnheiten definierten Bereich eines Menschen, in dem er sich wohl und sicher fühlt.“ Individuell unterschiedlich und im gewissen Maße dynamisch soll sie laut weiteren Definitionen sein, primär jedoch aus bequemen, starren Strukturen und Abläufen bestehen.
Wann fühle ich mich also wohl?
Ein Winterabend, 22 Uhr, ich trabe im Regen meine gemütliche 12km-Runde. Komfortzone?
Auf der Arbeit ist viel zu tun, wir verbringen den Tag maximal effizient und konzentriert, packen es aber gerade noch. Komfortzone? Erstrebenswert?
Im Rucksack sind 18kg, wir sind adäquat akklimatisiert und steigen durch einen Eisbruch zum nächsten Lager auf 5500m auf. Wie ist es jetzt?
Alle drei Situationen gehören für mich zum engsten Wohlfühlbereich. Warum schicken uns denn alle irgendwohin nach außerhalb?!
Ich erinnere mich sehr wohl an den Tag, an dem ich weinend auf dem Eis lag und keine Luft bekam. Ich erinnere mich auch an das erste Mal, als der Schmerz der auftauenden Finger alles andere überblendete. Ich weiß, wie es ist, in der Angst kaum in der Lage zu sein, die Notfallnummer zu wählen. All das hat nichts mit irgendetwas Positivem zu tun und brachte mich persönlich – entgegen der Versprechungen der Glanzmagazine – keinen Zentimeter weiter. Dagegen, es machte mich zurückhaltender und ängstlicher.
Man könnte – nicht ganz zu Unrecht – meinen, dass ich nun übertreibe. Dass ich die für mich extremen Situationen aufführe, welche ja tatsächlich kontraproduktiv sind. Doch die Grauzone zwischen dem gewohnten, komfortablen, wenn auch fordernden Bereich und der Überforderung ist hauchdünn. Solange man die Kontrolle behält, solange man subjektiv sicher ist (Komfortzone!), da geht es einem gut. Danach wird es unangenehm und wenn man die Lage nicht schnell in Griff bekommt, ist der Sendeschluss näher als einem lieb ist.
Die wichtigste Frage bzw. der verbreiterte Irrtum ist es, was jeder einzelne zum Wohlfühlen braucht. Es ist viel zu einfach, unsere Wohlfühl- aka Komfortzone mit einer Couch zu Hause gleichzusetzen. Denn ein gewisses Unbehagen gehört für die Meisten dazu, eine Unsicherheit, eine Herausforderung oder Belastung – sonst wird es langweilig, man fühlt sich unwohl und rutscht damit automatisch aus der Definition der Komfortzone. So kann auch der eigene Wohlfühlbereich nicht nur abwechslungsreich und fordernd, sondern auch so groß sein, dass man darin mehrere erfüllte Leben unterbringen kann. Denn wer hat gesagt, dass ein Ultramarathon oder ein 20kg-Rucksack nicht zur Komfortzone gehören können?
Gerade in den Bergen lege ich Wert darauf, nicht einmal in die Nähe der roten Linie zu kommen und selbst für Unerwartetes ausreichend Puffer zu haben. Auch fordernde Unternehmungen, wo einem vielleicht nach 150km nonstop die Füße weh tun oder man trotz Schlafmangel agieren muss, müssen nicht unbedingt in eine Grenzerfahrung ausarten – lässt man die Müdigkeit oder auch den durch die Belastung erklärbaren Schmerz zu, bewertet sie positiv als einen Teil des logischen Ganzen, so ist ein „durch Gewohnheiten definierter Bereich eines Menschen, in dem er sich wohl und sicher fühlt“ immer noch gegeben. Was spricht dabei gegen eine Eiskletterei oder einen 4000er vom Tal aus?
So steht einem glücklichen, abwechslungsreichen Leben innerhalb des Wohlfühlbereiches nichts im Wege. Die einzige Herausforderung bei dem Wunsch, die eigene Komfortzone ordentlich, aber sicher auszunutzen: Man muss wissen, was sie bietet und wo sie endet – oder, „wie weit man zu weit gehen kann“. Und dafür kann eine gut abgesicherte, kontrollierte Erkundungstour in Richtung des eigenen Grenzzauns tatsächlich schon einmal nützlich sein.