Die Dent Blanche bedarf eigentlich keiner Vorstellung. Der Berg ist bekannt, zum einen für seinen beeindruckenden Felsgipfel, zum anderen für seine langen, mindestens „ziemlich schwierigen“ Gratanstiege. Und nicht zuletzt braucht man sogar für den Normalweg neben der Routine im Fels und Schnee einige Akklimatisierungstage, einen Schlafplatz in der kleinen Dent-Blanche-Hütte und Glück mit dem Wetter. „Könnte funktionieren“, dachten wir und wanderten vom Dent d`Hérens von Italien in die Schweiz.
So stiegen wir an einem klaren Augustmorgen vom Rifugio Aosta zum Col de la Division auf. Der Pfad ist zunächst klar sichtbar, verliert sich aber bald im etwas steileren, abschüssigen Gelände. Die Richtung ist jedoch kaum zu verfehlen und egal, ob man sich für die Firnfelder oder das Geröll im Aufstieg entscheidet, sind schon bald Markierungen und später Kettensicherungen die Felsstufe links hinauf zu sehen. Über diese freuten wir uns ziemlich – die brüchigen Felsen ließen sich sonst wohl kaum absichern.
Auf der anderen Seite erwartet einen ein flacher Abstieg und die Entscheidung, ob man direkt nach rechts zur Cabane du Dent Blanche abbiegt oder, wie wir, einen Schlechtwetter-Zeitvertrieb-Schlenker zur Cabane de Bertol einlegt. Diese liegt ausgesetzt auf einem steilen Felsvorsprung und ist an sich durchaus gemütlich, aber irgendwie fühlten wir uns dort nur halb willkommen (die Sommerwirte waren jedoch wohl neu und unerfahren, wahrscheinlich lag es daran). Umso motivierter ging es am nächsten Morgen trotz des bescheidenen Wetters und teils schlechter Sicht über die gigantischen Gletscherlandschaften zur Cabane du Dent Blanche.
Hier fühlten wir uns sofort gut aufgehoben – gut so, denn der Wetterbericht und der Hüttenwirt Marcel versprachen beide nichts Gutes. Trotz des vor 2-3 Tagen versprochenen Sonnenscheins schneite es den kompletten nächsten Tag. Die Hüttenterasse wirkte mit Raureif überzogen hochwinterlich und der Wunsch, raus zu gehen, hielt sich stark in Grenzen. Trotzdem kamen zwei geführte Seilschaften hinauf und am Abend rief Marcel alle zum Briefing zusammen.
„Condicions hivernales“, Skepsis in der Stimme und aufmerksames Zuhören der beiden Bergführer reichten mir, die kaum ein Wort Französisch versteht, gut aus, um jeglichen Optimismus aufzugeben. Plattenkletterei bis zum oberen 3. Grad auf über 4000m Höhe bei einem halben Meter Neuschnee und Minusgraden im zweistelligen Bereich ist eine nicht zu unterschätzende Unternehmung. Trotzdem läutete der Wecker erneut mitten in der Nacht und nach einem guten Frühstück zurrten wir direkt auf der Hüttenterasse unsere Steigeisen fest.
Die geführten Seilschaften stiegen voraus, uns eine gute Spur hinterlassend. Trotzdem war weder die Orientierung leicht noch das Steigen einfach. Das Steilgelände beginnt nämlich direkt hinter der Hütte, in unserem Fall verschneit und eingeblasen. Wie häufig in der Nacht, fühlte ich mich sehr wohl, Sebastian entschied sich jedoch schon bald umzudrehen. Ihn schweren Herzens gehen gelassen, stiegen wir zu zweit mit Florian über eine stark ausgesetzte Passage auf das Schneefeld, vor dessen Spalten uns Marcel vorher warnte (anseilen!).
Langsam wurde es hell. Was für ein traumhafter Morgen in winterlich verschneiter hochalpiner Welt! Nach einigen Metern im Schnee kraxelten wir einen festen, rauen Blockgrat hinauf, welcher nach oben hin etwas schwieriger, aber immer noch sehr gut (seilfrei) zu gehen war. Dann kam ein weiterer, kurzer Firnabschnitt und plötzlich sahen wir die geführten Seilschaften uns entgegenkommen.
Dent d´Hérens Das Matterhorn schaut einem aus direkter Nähe zu Nicht täuschen lassen – es hat Spalten!
„Es ist teilweise hüfttief und zu heikel, man kommt nicht weiter“ – der Ton ließ keine Zweifel offen. Wir bedankten uns für die gute Spur bis hierher und verabschiedeten uns von den Vieren, wollten aber noch einige Meter weiter schauen.
Wie zu erwarten, wurde das Gelände und auch das Gehen ohne Spur massiv schwieriger. Bereits an der Stelle, wo sie umdrehten, mussten wir suchen und graben, um der eingeschneiten Platte einen Tritt abzugewinnen. Jeder Griff und Tritt kostete Zeit und Energie, die Sicherungsmöglichkeiten waren rar und irgendwann war die dürftig gesicherte, blinde Kletterei über verschneite Felsen nicht mehr zu vertreten. Also traten wir knapp unterhalb des Großen Gendarms den Rückzug an.
Und dieser dauerte nicht weniger, als der Aufstieg es getan hat. Das Wetter war stabil und inzwischen warm und sonnig, der Schnee taute und legte manche Griffe und Tritte frei. „Die Verhältnisse dürften morgen ganz ok sein“, dachte ich, wie üblich das Abklettern hassend. An der Hütte angekommen, freute ich mich noch mehr: Es kamen etliche Bergaspiranten, man könnte das Spurenlegen teilen! Doch leider hielt die Freude kürzer als gedacht: Die Jungs waren müde, hatten genug vom Bergsteigen und wollten den Gipfel nicht mehr versuchen. Ich fand es ausgesprochen schade, musste es aber akzeptieren.
Da wir erneut nach Italien aussteigen mussten, um das Auto abzuholen, klingelte der Wecker erneut viel zu früh. Ein langer Hatsch über den Gletscher stand an, der mich vor 5-10 Jahren noch glücklich gemacht hätte, jetzt aber nur etwas nervte. Es ist ärgerlich, auszusteigen, ohne alles gegeben zu haben! Andererseits fand ich die berühmt-berüchtigte Dent Blanche zwar interessant, nicht aber so reizvoll wie viele andere Ziele. Bei Gelegenheit werde ich ihr zwar erneut einen Besuch abstatten, vielleicht nächstes, vielleicht aber auch erst in 20 Jahren.
Unsere Zeit in den Bergen neigte sich dem Ende zu. Erneut haben wir es geschafft, im Sommer mehr Schnee als Blumen zu sehen. Doch das Urlaubsfeeling stellte sich bisher nicht wirklich ein – für Zeltmenschen haben viel zu viel in Hütten übernachtet -, also entschieden wir uns, den Ferien noch eine Chance zu geben und blieben für ein letztes Wochenende im Wallis. „Basti, was hältst du vom Lagginhorn-Südgrat?“