Bödefelder Marsch, 101km/2200hm
Mai 2009
Ich weiß nicht mehr, wie ich auf die Idee kam. Nur wachte ich eines morgens auf und wusste, dass ich mich in der Nacht zu irgendwas angemeldet habe – zu was genau, war leider nicht mehr zu eruieren…
10 Tage später fuhr ich nach Bödefeld. Bereits die Fahrt war ein Abenteuer und funktionierte nur durch eine Reihe glücklicher Zufälle. So fand ich mich irgendwann mitten im Sauerland wieder, mit Startnummer in der Hand und in bunter Gruppe der Gleichgesinnten. Vorfreude und Anspannung wuchsen mit jeder Minute und um 19 Uhr ging es endlich los.
„Oh nein, das ist ja ein Rennen!“ Stand in der Ausschreibung wirklich etwas vom Wettkampfcharakter der Veranstaltung??? Bereits nach zwei Kilometern bin ich außer Atem und gehe so schnell wie es nur geht! Ob das lange funktioniert? Soll ich nicht lieber selbstbewusst und ruhig mein Tempo gehen?
Allen meinen Hoffnungen zum Trotz gehen liebe Mitstreiter auch nach 1,5 Stunden immer noch so schnell. Im Kopf klingt „so schaff ich keine 30 km“, es macht aber Spaß, andere kennen zu lernen und sie in Aktion zu beobachten. Kurzer Regenschauer sorgt für Ablenkung und schenkt uns einen Regenbogen sowie ein wunderschönes Farbspiel mit gold-rotem Nebel über den Hügeln. Ich werde von einem Wanderer eingeholt, mit dem wir schon davor ein paar Worte ausgetauscht haben, und wir gehen zusammen.
Nach 13km ist die Runde ums Dorf herum ist beendet, jetzt geht es richtig in den Wald und die Nacht hinein. Wir gehen immer noch zu zweit und bekommen am ersten Verpflegungspunkt direkt die Warnung, dass das Laufen verboten sei…
KM22: „Hab ich nicht vorgehabt, wie empfohlen, die ersten 25km locker zu gehen?“ Die Nacht ist noch nicht einmal da, wir eilen (immer noch zu zweit und genauso schnell) irgendwohin und der Weg ist noch soo lang… Die Situation ist irgendwie unwirklich und die Motivation zweifelhaft. Wie soll man sich denn motivieren, wenn man gerade eine gute Wanderetappe hinter sich gebracht hat, dabei aber noch nicht einmal „mittendrin“ der Strecke ist?
Bald änderte sich die Stimmung aber grundsätzlich, und ich stellte überrascht fest, dass wir bereits knapp 50 Kilometer haben. Geht doch!!! Stunde für Stunde vergingen, wir besprachen alles auf der Welt und entschieden uns an den VPs, ob wir noch ein Stück lang zusammen bleiben wollen… Diese Frage wurde langsam zum Scherz, denn es war offensichtlich, dass es gut passt. Zwar warnte mich mein Partner schon zu Beginn, dass er später – wenn ich langsamer werde – alleine weiter zieht, jetzt wusste ich aber, dass auch er Mühe hat, unser Gehtempo zu halten. Also profitierte ich von der Streckenkenntnis meines Partners und hörte ihm stundenlang fasziniert zu – die Welt der langen Strecken, für ihn schon vertraut, existierte für mich bisher gar nicht.
Nach 9 Stunden unterwegs erreichten wir um 4 Uhr morgens den Wendepunkt – Juhuu! Immer noch verlor ich keinen einzigen Gedanken an die Wahrscheinlichkeit, die 101km zu schaffen, freute mich aber sehr, doch so weit zu kommen. Und bald sollte der neue Tag beginnen!
Pause unter festem Dach mit Möglichkeit Schuhe zu wechseln, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen etc. Wir setzten uns zum ersten Mal hin. Neben Trinken und noch einer Banane gönnte ich mir zwei Schokopralinen. Sie scheinen direkt ins Blut zu gehen, so dass wir nach 20 min (wie vorgenommen) den Rückweg antraten.
Sternenklare Nacht mit Vollmond neigte langsam ihrem Ende zu. Uns kamen andere Wanderer entgegen, die den Wendepunkt noch nicht erreicht haben; wir sahen auch die beiden, deren Teilnahme auf eine Wette zurückzuführen ist. Neue Wanderschuhe, keine Erfahrung – aber sie haben es zumindest bis hierhin gepackt! Leider haben wir uns danach nicht mehr gesehen.
KM66: „Läuft!“ Es ging noch schneller, als davor, ich fühlte mich gut und im Rausch der Bewegung merkte gar nicht, dass mein Partner einen Tief hatte. Beste Stimmung breitete sich aus und ich erwartete, dass das bald kommende Licht noch etwas Energie schenken wird…
Als das Tageslicht da war, fehlte von der Energie jedoch jede Spur. Der Erfahrene an meiner Seite merkte sofort(!), was los ist und sagte etwas Passendes. „Ist das das Ende der Tour? Schluss? Aus??? – Ruhe im Kopf!!!“
Leichte Kreislaufprobleme, mir bis dahin absolut unbekannt, zwangen zu etwas entspannterem Tempo. Wesentlich schwieriger war es aber, sich dazu zubringen, etwas zu essen – eine halbe Scheibe Brot mit Käse zu zerkauen, war harte Arbeit. Bald ging es aber tatsächlich besser und obwohl jetzt jeder still mit sich selbst beschäftigt war, konnte ich mich über nichts beschweren.
Bei Kilometer 84 kamen uns die ersten Ultramarathonläufer entgegen – als ob sie 5 und nicht 67/101 km liefen! Wir ließen uns von der Stimmung anstecken und überlegten, unter 17 Std anzukommen – das bedeutete ja nur 17 km in 3 Std!
Und dann kamen die schönsten Kilometer 🙂 Im Wald waren jede Menge Läufer und Wanderer – sie hatten Strecken von 11 bis 67km vor und waren früh gestartet. Manche taten uns etwas leid – aufgrund der Höhenmeter waren selbst die kürzeren Laufdistanzen anspruchsvoll. Ein letzter Anstieg bevor es runter nach Bödefeld ging hatte es noch einmal in sich: Ich kam nur mit viel Mühe hoch, mein Partner dagegen schnell und flink. Nach 90 km zusammen verzichtete er aber auf diesen Vorteil und es ging zu zweit auch weiter, nun abwärts.
„Schön gehen und lächeln“. Nach 98 Kilometern waren wir nicht wesentlich langsamer, als kurz nach dem Start. Enorme Motivation durch das Grüßen der anderen und absolute Zufriedenheit mit der Zeit (was mich angeht, konnte ich es überhaupt nicht fassen!) ließen die Müdigkeit zurücktreten. Dass sich Gelenke etc. meldeten, war nun auch vergessen – schließlich durften sie es ja.
Nach 16,5 Stunden unterwegs kamen wir lächelnd im Ziel an. Danach war aber wirklich Schluss, weder Lust noch Motivation etwas zu machen, auch keine ausreichende Konzentration. Erst nach vielen Stunden Schlaf und mehreren Tagen Aufarbeitung verstand ich, was passierte: Wir haben etwas geschafft, was ich nicht für möglich hielt. Und was die anderen auch sagen mögen….es hat sich gelohnt!!!