22.-23.11.2014
„Laufen? … Nein.“ Der UTMB Ende August verlangte mir alles ab und die Laufschuhe wurden danach nur zögerlich angezogen. Und selbst diese kurzen „Ausflüge“ wurden mit der Zeit immer weniger verlockend – im Gegensatz zum immer besser laufenden Training im Verein: 10min zum Aufwärmen, 40min Ergometer-Programm, 5min ausfahren, duschen – fertig!!! Trotzdem freute ich mich sehr über die unerwartete Wild Card und den damit verbundenen Wechsel aus der Warte- in die Starterliste. Besonders, weil wir dieses Mal mit meinem ehemaligen Trainingspartner Dominik zusammen an den Start gehen konnten (er war schon 2013 dabei, ich 2012)!
Bei praktisch fehlendem Training fiel es nicht leicht, ein Ziel zu definieren. Viel einfacher war es zu sagen, was ich nicht will: Erstens – mich zu sehr anzustrengen, zweitens – in kalter Novembernacht auf der Strecke zu bleiben. Das Zweite schien realisierbar: 106km in 24h schafft man unter normalen Umständen (= unverletzt) „immer“. Mit dem Ersten war ich mich aber nicht so sicher…
Nach wohltuenden 9h Schlaf (eeendlich!) ging es früh morgens nach Bonn und dann mit der Startnummer in der Hand und nach einem kurzen Briefing wieder fast nach Hause – nach Rengsdorf zum Start. Dort gerade angekommen, sahen wir Moritz von der längeren Kobolt-Strecke (140km) vorbei fliegen – er hat bereits 34km und über 1000hm in unter 3h zurückgelegt und war genauso schnell wieder verschwunden (Wahnsinn!!!). Bald war es auch für uns soweit: 23 Starter, 106km und 3360hm zurückzulegen, ein Tag und eine Nacht Zeit.
„Sie rennen! Das mach ich nicht mit!!!“ Die Strecke beginnt mit einem langgezogenen flachen Abstieg, das Tempo war mir aber selbst dafür zu hoch. Schon wenige Kilometer nach dem Start verabschiedeten sich Dominik und ich voneinander und ich schaltete einen Gang runter. „Die Nacht ist lang“ – sagte bei meiner allersten Langstrecke der damalige Zufalls-Mitwanderer (und jetzt ein Freund). „Die Nacht ist meine Zeit“ – dachte ich und wünschte mir, der Tag (und die ersten 25km) wären endlich vorbei.
Auf dem mir gut bekannten aussichtsreichen Aufstieg über Leutesdorf schloss ich zu einem anderen Läufer auf; wir unterhielten uns einige Zeit lang und ich versuchte, ihn auf die Rheinsteigzeichen aufmerksamer zu machen. Doch so wie es oft ist, passte der Bewegungsrhythmus nicht so gut: Er war mir laufend zu schnell, während ich es während der Anstiege einfacher hatte. Wir blieben noch bis zur ersten Fotostelle* zusammen (Km 21), wo wir fast gleichzeitig mit vielen weiteren Teilnehmern ankamen. Dann machte ich mich aber im Gegensatz zu den anderen sofort weiter auf den Weg. Hier sah ich auch zum letzten Mal Dominik – wartete danach aber noch lange, dass er mich einholt…
Auch Tanja machte keine Pause und war gleich wieder unterwegs. Nachdem ich im Sommer bei ihrem Gore-Tex-Transalpine-Run mitgefiebert hatte, freute ich mich sehr, mich mit ihr „live“ zu unterhalten. Die nächsten 12km wurden ein toller Abschnitt in einer wunderschönen Gegend, unser kleines Team funktionierte super und obwohl sie eigentlich schneller war, machte es richtig Spaß. Vor dem Aufstieg zur Rheinbrohler Ley holten wir außerdem einige weitere Teilnehmer auf und liefen gemeinsam in die Nacht hinein.
„Eeentschuldigen Sie, kann ich eeetwas fraaagen?“ Eine Dame stieg gerade aus dem Auto und schaute sich uns an. Mein „Schnell-schnell-schnell!“ war vermutlich nicht soo einladend, einer aus unserem Grüppchen hielt aber kurz an und hörte zu: „Wie läuft man eigentlich mit diesen Stöcken?“ Die Antwort, wenn es denn eine gab, erreichte mich nicht mehr 🙂
Die erste Verpflegungsstelle (VP, Km 33) kam genau, als sich der Hunger meldete und die Trinkblase** leer war. Tanja wurde von ihrem Mann in Empfang genommen; ich bekam leckere warme Suppe, holte dann eine Waffel mit auf den Weg und lief nach wenigen Minuten weiter – alleine.
Längst war es Nacht, mondlos, aber sternenklar. Wie üblich hatte ich weder GPS noch eine Uhr mit, hatte gar keine Vorstellung, wie spät es ist und orientierte mich allein an den Wanderzeichen. Große Hilfe war dabei die von Dominik ausgeliehene super helle Lampe – danke dafür!!!
„Genial!!!“ – jetzt lief es einfach. Nach 35km hatte ich absolut nichts zu beklagen, war energiegeladen, genoss es. Die Aufstiege gingen besser als zuvor, bei den Abstiegen erinnerte ich mich an die besten Momente des UTMBs – das waren definitiv die Downhills! Und wenn es doch etwas anstrengender wurde, halfen die Toten Hosen ein wenig nach – „Tage wie diese“ bekommen in solchen Augenblicken einen ganz besonderen Klang!
Kurz nach Linz holte ich Karl ein. Schon mehrmals waren wir parallel zueinander unterwegs; auch er scheint sich allein in der Nacht sehr wohl zu fühlen. Nach ein paar Worten kehrten wir in unsere Welten zurück und liefen mit geringem Abstand schweigend weiter. Kurz davor kam es zu einem weiteren interessanten Treffen: Auf einem asphaltierten Stück hielten plötzlich irgendwelche Jugendlichen auf dem Motorrad an und meinten, man würde mich mit den Reflektoren gut sehen, was gut sei. Ich fand es sehr nett, wunderte mich aber, dass sie selbst nicht ganz ordentlich unterwegs waren….
Erpeler Ley! Normalerweise ein phantastischer Aussichtspunkt, jetzt aber hauptsächlich ein warmer (Feuer!!!) und gemütlicher Verpflegungspunkt mit allem, was man sich nachts im Wald wünscht. Suppe, Tee und Süßigkeiten sowie ein frisches Oberteil (bisher war ich im T-Shirt unterwegs, langsam wurde es aber frisch) wirkten Wunder und sehr bald war ich wieder unterwegs, mich auf die letzten 51km einstimmend.
Kurz nach dem Start kam mir eine größere Gruppe entgegen, die die Schleife zur Ley in die falsche Richtung gelaufen ist; hier ist es aber unkritisch. Auch Tanja war dabei – sie habe ich schon die ganze Zeit erwartet, aber wie sie später erzählte, war die Wegfindung bei ihr doch nicht immer ideal. Also ging es wieder alleine durch die Nacht – und es lief bestens… noch.
Bad Honnef – immer wieder ein Albtraum, ich mag die Strecke einfach nicht. Wald, Wald, noch einmal Wald….und man weiß, dass bald mehrere ordentliche Anstiege kommen. Als die Moral zum ersten Mal zu wünschen übrig ließ, sah ich die Stirnlampe von Michael hinter mir. Im Nu war er bei mir und gemeinsam rockten wir ein paar Kilometer und unter anderem den langen Anstieg zum „Auge Gottes“, auch einer Pflichtfoto-Station**. Bald gab mein Scheinwerfer aber den Geist auf und während ich die Ersatzlampe rausholte, war ohnehin fitterer Michael weit weg.
Himmerich – diese steile Lichtung führt gefühlt zum Himmel, die habe ich aber schon oft genug erklommen, um die nötige Schrittzahl zu kennen… Und dann – dann ist es auch bis zum Löwenburg-Aufstieg nicht mehr weit!
Wieder kurz hinter Michael, aber unfähig, ihn einholen, ging es „gemeinsam“ hoch. Langsam wurde ich müde, wusste aber, dass der Rest sicher zu machen sein wird. Und nach ein paar Kilometern ist der nächste/ letzte Verpflegungspunkt!
Es ging runter. Nicht nur die Höhenmeter wurden abgebaut, auch die Energie verschwand rasant und selbst die Musik half nicht mehr. Psychisch etwas daneben und physisch recht fertig erreichte ich Rhöndorf, erlaubte mir eine kleine Pause am Heizstrahler und steuerte wie benommen den Drachenfels an. Jetzt rächte sich die fehlende Vorbereitung – im Prinzip ging es mir ganz gut, aber die Energie war einfach verbraucht und der rettende Schlafsack erst in Bonn. Und da kommt man um 2 Uhr nachts nur über sieben Berge hin…
Oben am Drachenfels stützte ich mich schwer am Geländer ab und warf einen Blick auf das funkelnde Lichtermeer des Rheintals. Es ist so schön….ich liebe diese Region, das Siebengebirge, den Rhein…in der Ferne sieht man schon den Bonner Posttower, aber es wird noch dauern, bis er nur durch den Fluss getrennt erscheint. In diesem Augenblick eilte eine Sternschnuppe durch den Himmel – und ich wünschte mir etwas. Ich wünschte, irgendwann wieder hier in der tiefen Nacht zu stehen.
Ich wurde immer langsamer. Wie auch ursprünglich gedacht, wollte ich heute nicht kämpfen, und tat es auch nicht. Tobias, der Siegerder längeren Strecke, lief leichtfüßig vorbei und half mir dabei sogar mit der Orientierung. Nach dem Petersberg sahen wir uns kurz wieder – wahrscheinlich hat er eine Extrarunde eingelegt. Auch ich legte die eigentlich gut bekannte Strecke nicht ohne Verlaufen zurück, insgesamt fiel die Orientierung aber wesentlich leichter als beim ersten Mal.
Auf der Rheinpromenade war bereits Betrieb – mir kamen mehrere Läufer und Walker entgegen. Ich hatte aber immer noch keine Vorstellung, wie spät es ist – und wollte es auch nicht wissen. Und dann war es vollbracht!
Leise spazierte ich an bereits Schlafenden vor mir Angekommenen vorbei, meldete mich im Ziel, duschte und streckte mich auf einer Matte aus. Zwar habe ich 40 Minuten länger als 2012 und 3h mehr als die Sieger (Glückwunsch und Respekt, top Zeit!!!) gebraucht, aber mit dem 5. Ergebnis insgesamt kann ich gut leben. Als großartige Überraschung gab es danach noch ein Geschenk für die schnellste Zeit von den fünf teilnehmenden Frauen, größtenteils gesponsert von „Wat läuft“ – danke sehr, alles wird sehr gern und artgerecht gebraucht 🙂
Tanja und die anderen Mädels kamen bald danach bestens gelaunt an. Meinen Laufpartner Dominik erwischte unterwegs aber eine Sehnenreizung und er musste vernünftigerweise aussteigen. Dennoch kamen seine Freundin und er später noch vorbei, was mich sehr freute, und brachten mich auch netterweise zur Bahn.
Somit wäre es geschafft, könnte man meinen, aber bis zum Happy End fehlte doch noch ein wenig: Direkt danach war ich in Koblenz zum Rudern verabredet. Eine Regatta stand an und wir fanden keine andere gemeinsame Zeit… So „ausgelaufen“ wurde ich an dem Tag nicht mehr alt – genauso wie an den folgenden, wenn ich mit einem XXL-Muskelkater gerade mal zwischen dem Arbeitsstuhl und dem Bett pendelte. Aber so ist es halt: Um zu laufen muss man….laufen. Schön war es, einfach top, aber noch einmal ohne Vorbereitung? Sicher nicht!!!
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PS
* An einigen Stellen werden Fotos gemacht als Nachweis, dass man die Strecke tatsächlich zurück gelegt hat.
**Zur Pflichtausrüstung gehören: Trinkflasche/ -blase für mind. 1,5l, Trinkbecher (damit es keinen Müll gibt), etwas zu essen, Erste-Hilfe-Set, warme Sachen, Handy etc.. Das Ganze kommt in einen (Lauf-) Rucksack, den man die ganze Zeit bei sich hat.