Ich lag auf dem Eis und weinte. Allein beim Aufsetzen des Rucksacks war ich aus der Puste, geschweige denn beim Steigen über den rund 30° steilen Gletscher. Zu viert in der Seilschaft, hatte man nicht allzu viel Freiheit was das Tempo und die Pausen angeht und so bekam ich irgendwann nicht einmal genug Sauerstoff, um es anzusprechen. Ließ mich bei der nächsten Pause samt Rucksack in den Schnee fallen, holte krampfhaft Luft und hoffte, dass die Brille die Tränen verdeckt. Dabei hatten wir gerade maximal einen Drittel des heutigen Aufstiegs geschafft.
Anreise:
Von Huaraz oder, besser, Caraz aus fährt man (Taxi/Collectivo) nach Cashapampa, eine Ortschaft in ca. 2900m Höhe am Eingang in die Quebrada Santa Cruz. Dort lassen sich Arrieros und Lasttiere engagieren (50 Soles/Esel, 50-60Soles/Arriero jeweils pro Tag). Bis zum Alpamayo-Basecamp rechnet man mit drei Tagen (zwei rauf, ein runter für den Arriero). Es ist üblich, den Tiertreiber zu verpflegen und ihm u. U. einen Platz im Zelt zu gewähren. Im Zweifelsfall lieber vorher besprechen!
Taxi von Huaraz kostete uns, wenn ich mich nicht irre, insgesamt etwa 250 Soles.
Schwierigkeit:
Der Normalweg auf den Quitaraju, der NO-Grat, wird mit AD angegeben, war zur Zeit aber nicht zu empfehlen (lang+gefährlich wegen der Seracs). Für die Nordwand (50-60°, 600hm) bin ich mit D einverstanden.
Character:
Lange, nach oben hin steilere Schnee-/Eisroute. Im Abstieg Abseilen über Felstände möglich. Direkt rechts von den Felsen halten. Achtung auf das Gelände über einem. Über den Bergschrund am Einstieg Standsicherung sinnvoll.
Besonderheiten:
1) Nordwand auf der Südhalbkugel = Sonnenseite.
2) Je nach Schneekonditionen schlecht absicherbar. Mindestens 2-3 Firnanker und mehrere Eisschrauben mitnehmen.
3) Teilweise bereits von den anderen eingerichtete Stände im Fels, manche sogar vertrauenswürdig.
4) Lange Route, früh (vor 3 Uhr) zusteigen.
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600hm und etliche Kilometer haben wir in der ersten Stunde vom Tal aus zurück gelegt. Ohne Gepäck steigt es sich selbst bei Hitze leicht und wir freuten uns, inzwischen halbwegs akklimatisiert zu sein. Nach etwa drei Stunden zügiges Wandern – die Esel laufen überraschend flott – warfen wir die Anker am offiziellen Zeltplatz des Santa Cruz Treks auf 3760m und genossen den restlichen Tag. Da wir den Luxus der drei Zelte für drei Personen hatten, bekam unser Tiertreiber Julio eine eigene Unterkunft und ein Abendessen, das er später zur Hälfte mit nahm. Außerdem nahm er dankbar meine Daunenjacke an – mehr als die Decken, die er sonst zur Polsterung auf die Eselsrücken legt, hatte er zum Schlafen nicht bei.
Am frühen Morgen ging es wieder los. Wir wanderten am wunderschönen See vorbei und stiegen zum Alpamayo-Basecamp (4250m) auf, ebenfalls schön unter den Bäumen gelegen. Die normale Aufstiegszeit beträgt 4-4,5h, wir schafften ihn in 3h30 und kamen trotzdem deutlich nach den Eseln an. Zelte aufstellen (wo bleibt schon wieder die Luft?), Gepäck für den Aufstieg sortieren, Eier kochen. Ja, genau, Eier. In der Blechhütte am Camp gab es Getränke und als einzig essbares Eier für 1 Sol/Stück….
Im Nebel und leichtem Schneefall schulterten wir am nächsten Morgen unsere 26-28kg schwere Rucksäcke und stiegen zum Moränenlager auf etwa 4800m auf. Obwohl ein Zelt und jede Menge anderer Sachen und Essen im Basislager blieben, kamen wir beim besten Willen nicht auf weniger Gewicht, entsprechend schwerfällig ging es hinauf. Die Nacht verlief höchst unruhig, ich schlief kaum, rang nach Luft und stand am Morgen zusätzlich mit Übelkeit und Durchfall auf.
Also lag ich da und weinte. Wir hatten gerade erst eine halbe Stunde Aufstieg übers Geröll und eine Stunde Gletscher hinter uns und ich konnte es mir nicht vorstellen, dass der Großteil inklusive der technischen Schwierigkeiten noch kommt. Noch bevor ich zu mir kam, bot ein sich uns angeschlossener Sologänger aus Spanien an die Rucksäcke zu tauschen – der seine war 3-4kg leichter als der meine und er selbst bereits seit einem Monat in der Höhe. Der Ehrgeiz rührte sich, guckte mich und die Route an – und verschwand. Ich musste diesen verfluchten Aufstieg schaffen, jetzt Hilfe abzulehnen wäre einfach nur dumm. Das hier war kein Spiel und kein Training; wenn ich ein Problem bekomme, haben wir alle ein Problem.
Etwas lockerer – aber natürlich auch Jordi hatte genug Kilos in seinem Gepäck – ging es eine weitere Stunde hinauf. Dann begann der technische Teil, wir tauschten zurück und mein Monster umarmte wieder meine eigenen Schultern.
Seile wurden ausgepackt und der Vorsteiger zeigte schönste Eistechnik – ohne Gepäck. Ich folgte, mich übers Klettern freuend – endlich klappte heute etwas! Doch der Plan, die Rucksäcke per Flaschenzug hochzuziehen, scheiterte aufgrund der Reliefs, an dem diese ständig hängen blieben. Für uns bedeutete das: Abklettern und mit dem Gepäck noch einmal hoch. Wer hat schon mal bis zu 80° steile Eispassagen auf 5300m Höhe mit gut 25kg am Rücken geklettert? Und dann macht Euch noch die Schlinge am Tibloc zu lang, so dass das Teil ständig runter rutscht (klemmt es dann trotzdem bei Sturz oder rausch ich durch?) – bester Spaß garantiert! (Dem Vorsteiger wurde zumindest das erspart, er ging verständlicherweise ohne Gepäck hoch. Einmal musste aber auch er abseilen und seinen Rucksack holen.).
Dieser Zustieg, an sich eine ausgewachsene Tour und dieses Jahr laut Einheimischen anspruchsvoller denn je, kostete uns alle jede Menge Kraft, sodass beschlossen wurde, am nächsten Tag zu pausieren. Das war mir durchaus recht: Außer 1/2 Müsliriegel am Morgen habe ich an dem Tag nichts gegessen und konnte auch nicht einmal dran denken. Selbst das Trinken war Arbeit und die Übelkeit allgegenwärtig.
Das große Kino des Hochlagers hieß „Alpamayo“. Nachdem die Kranken – zwei von uns mich inklusive hatten immer noch Durchfall und Übelkeit – es mit dem Aufwachen und Anziehen geschafft haben, legten wir unsere Isomatten in den Schnee und schauten, wie auch das ganze Lager, den Abseilenden in der French direkt Route zu. Zum Nachmittag hin besserte sich mein Zustand soweit, dass ich einige Kekse und ein paar Löffel Nudeln essen konnte – es aber bereut habe. Die Höhe in Kombination mit Bazillen…. Zum Fluchen.
… Der Wecker, schon wieder. Umdrehen, aus dem Schlafsack schälen, Jacke, Gurt und Steigeisen anziehen, in das Seil einbinden. Ans Essen oder Trinken ist immer noch nicht zu denken, das Stehen fällt schwer. Soll ich nicht direkt hier bleiben? Quatsch, hör auf zu jammern, nachts hat keiner Lust.
Wir laufen über die erst gut sichtbare, dann angedeutete Spur in Richtung Quitaraju, machen einen großen Bogen um die Eisfall-Auslaufzone und stehen gegen halb sechs unterhalb der Route. Ich – ziemlich am Limit.
Es ist nicht einfach, sich zu entscheiden umzudrehen. Aber ich habe das Gefühl, bergauf nicht einen Meter hochzukommen. Die Jungs meinen – natürlich indirekt und super höflich – ich stelle mich an. Himmel, hätte ich jetzt viel dafür gegeben, im Zelt geblieben zu sein.
Es graut am Himmel, dann leuchtet der Horizont im intensivsten orange. Wir balancieren über den Bergschrund und steigen in die Route ein. Durch das seillängenweise Sichern komme ich zwischendurch dazu, Luft zu holen und sogar Fotos zu machen, außerdem steige ich überraschenderweise nicht langsamer auf als der dritte Kollege (der ebenfalls nicht ganz gesund ist). Wir klettern Seillänge um Seillänge, Lukas steigt alles vor, ich schalte das Gehirn ab und kraxle nur nach. Das Gelände ist schlecht absicherbar, aber einfach zu gehen, wir fühlen uns hier wohl und manchmal macht es sogar ein wenig Spaß. Die Aussicht ist phantastisch, der Alpamayo liegt direkt vor uns, das Wetter ist ideal. Mir geht es etwas besser, nur die allgemeine Schwäche und zwischendurch etwas Schwindel geben zu bedenken. Deswegen sichere ich mich fleißig an Ständen und überall, wo es etwas zum festmachen gibt.
Nach oben hin wird es steiler. Relativ plötzlich ändert sich die Schneequalität, er wird locker und rutschig, der Hang gefühlt senkrecht (gute 60°). Die Firnanker halten nicht. Ans Eis kommt man nicht ran. Hier solo rumzuturnen – vor allem gleich im Abstieg – ist höchst leichtsinnig. Zwei Seillängen bzw. 80hm vor dem Gipfel, auf 5960m, ist für uns Schluss…
Das Abseilen zieht sich. Einmal bleibt das Seil beim Abziehen hängen und ich erkläre mich bereit es zu retten. Schon im Dunkeln legen wir die letzten Abseillängen zurück, eingerichtet meist im Fels, überqueren erneut den Bergschrund und suchen nach dem Weg zwischen den Spalten nach unten. Dort angelangt, geht es nach Gefühl zum Camp zurück – eine Spur sieht man nicht – bis wir angeblich da sind, vom Lager aber keine Spur finden können.
Dort oben vielleicht? Oder doch weiter rechts? Und was ist das für die Riesenspalte, war sie schon davor da? Kamen wir eigentlich so nah am Alpamayo vorbei? HALT! Ist das überhaupt der Alpamayo???
Die Jungs sind müde und das macht mir Angst. Ich selbst, seit gestern nichts gegessen und nicht einmal einen halben Liter getrunken, fühle mich überraschend wohl. Das Wetter ist passabel, ich könnte notfalls die Nacht durchlaufen, sie aber vermutlich nicht. Also MÜSSEN wir das Lager finden. Auf den Fotos vom Tag identifiziere ich endlich unsere Position und verstehe den gemachten Fehler: Wir sind zu früh abgebogen und in der Serac-Fall-Zone des Quitaraju gelandet. Also auf leisen Sohlen raus und ab nach Hause. 1-2 Stunden später sind wir im Lager.
So endete unser Quitaraju-Versuch – rund 20h nach dem Start. Es war eine großartige Tour, auch wenn ich sehr mit mir selbst beschäftigt war. Kann man überhaupt einen 6000er machen, wenn man in drei Tagen insgesamt höchstens 300 Kkal und eineinhalb Liter Flüssigkeit zu sich genommen hat? Egal, auf jeden Fall schlief ich die restliche Nacht durch – welch ein Luxus….
Die Stirnlampenakkus, aber auch die inneren Vorräte waren aufgebraucht – wir beschlossen, abzusteigen. Über die Kletterstellen wurde abgeseilt, dann folgte ein langer, wunderschöner Gletscherzickzack. Vom Basecamp aus ging es in einem Rutsch nach unten und irgendwann hatte ich eine Inka-Cola in der Hand – so viel Zucker und Flüssigkeit würden selbst die Toten zum Leben erwecken. Das Abenteuer Quitaraju war erstmal zu Ende, ich bin mir aber ziemlich sicher, wieder zu kommen. Aufs Hochtragen von Essen könnte ich dann wohl direkt verzichten… 🙂