05.-15.03.2019
Eine Pulka. Zwei Pulkas. Dann noch eine, mehrere Taschen und Rucksäcke, Skier… Langsam breitet sich die Freude aus: Offenbar haben es die Scandinavian Airlines geschafft, unser auf fünf verschiedenen Routen und mit jeweils zwei Zwischenstops reisendes Gepäck ordentlich in den hohen norwegischen Norden zu bringen. Oder… wo sind eigentlich Arnes Sachen?
Somit konnten wir den Urlaub ausnahmsweise so beginnen, wie die meisten es üblicherweise tun: Unter einem Dach über dem Kopf, genauer gesagt in der Joatkahytta. Dahin gelangt man per Taxi, wobei uns die 40km lange Fahrt im Großraumwagen (fünf Personen, der Fahrer und das Gepäck) rund 160 Euro kostete. Dann noch 3,5km über den See, einige mit dem Schneemobil, einige skilaufend, und schon bezogen wir ein gemütliches Zimmer im Nebenhaus und hatten genug Zeit, uns als Gruppe kennen zu lernen.
Wie nicht selten, kannte bisher nur ich alle persönlich. Wird es funktionieren? Wo sind potenzielle Spannungen oder Schwierigkeiten zu erwarten? In den letzten Wochen erreichten mich einige Zweifel und Bedenken der anderen, ob ich sie ernst genug genommen habe?
Zuerst einmal genossen wir aber die waagerechte Position – die meisten von uns verbrachten die letzte Nacht unterwegs – und freuten uns auf den ersten Skiausflug am Morgen, wobei Lisa, die Hüttenwirtin, Arne sogar ein Paar Skier mit passender Bindung zur Verfügung stellte. Zurück in der Hütte, diskutierten wir über die Route. Wünsche aller umzusetzen war schwierig, doch irgendwann gelang uns ein Kompromiss und auch das vermisste Gepäck kam an – es konnte los gehen!
Einem Scootertrail folgend, liefen wir bei mäßig gutem/schlechtem Wetter die 15km zur Bojobaski-Hütte. Wie auch letztes Jahr half ich etwas aus, doch das merkten letztendlich weder die etwas langsamere Person unter uns noch ich richtig – im Flachen, in einer festen Spur spielt das Schlittengewicht nur eine geringe Rolle. Spannender wurde es im Wald: Hier brachen wir fast knietief ein und Basti zog mit seinen Tourenskiern eine tiefe Rinne zwischen den Bäumchen. Doch für uns war es der eigentliche Spaß heute: Endlich querfeldein!
Bei perfekten Verhältnissen ging es nun in Richtung Mollesjok-Hütte. Der Schnee war hart gefroren, das Spuren nicht nötig. Die tiefstehende Sonne zauberte stundenlang eine Sonnenaufgangsstimmung, die sanft in eine Sonnenuntergangsstimmung überging, wobei ich jede Minute davon genoss. Die anschließende Nacht wartete mit Kälte, aber auch herrlichen Nordlichtern auf uns – was für ein Spektakel! Später werden wir erfahren, dass es draußen etwa -35°C hatte.
Langsam breitete sich die Urlaubsstimmung aus, die Unterschiede in der Gruppe wurden jedoch immer deutlicher. Am vierten Tag kam dann der Vorschlag, uns aufzuteilen. Während Basti und ich querfeldein und etwas zügiger unsere Spuren ziehen und den demnächst ankommenden Michael in Masi abholen könnten, wollten die anderen einen halben Pausentag in der Hütte verbringen und sich dann gemütlich auf den gespurten Rückweg zur Joatkahytta machen.
Nach einem letzten gemeinsamen Mittagessen zogen wir also zu zweit bei schlechter Sicht und ordentlichem (Rücken-)Wind gen Westsüdwest los. Es war eine besondere Erfahrung für uns beide, auf einer direkten Linie querfeldein den am Kompass bestimmten Kurs zu halten. Sehr geholfen hat dabei tatsächlich der Wind, welcher den Schnee in einem zu den Skiern konstanten Winkel trieb. Häufig war dies unsere einzige Veränderung im Gelände, nicht einmal Steine ließen sich in der grauweißen Wüste blicken. Drei Stunden und etwa 15km später wunderten wir uns, dass es schon so spät ist – es war angenehm, endlich im Flow, ohne Pausen zu gehen. Dass wir dabei nur eine grobe Vorstellung von unserer Position in der Finnmarksvidda hatten, störte uns nicht im Geringsten – spätestens in zwei Tagen werden wir auf das Tal stoßen, wo die Straße Alta-Kautokeino läuft, ob es nun 5km weiter nördlich oder weiter südlich geschieht, spielt für uns keine große Rolle. Die Unsicherheit bezüglich der eigenen Position ist für viele jedoch sehr gewöhnungsbedürftig und sollte als mentale Belastung nicht unterschätzt werden.
Der Morgen begrüßte uns mit strahlendem Sonnenschein. Wie auch an anderen Tagen war es jedoch kühl und die Pausen kurz. Wir, vor allem Basti, spurten einige Stunden durch die relativ zerklüftete, teilweise bewaldete Landschaft, brachen immer wieder knietief ein und kamen schon mal ins Schwitzen, bis wir plötzlich an einem Scootertrack standen und zwei Norweger auf den Schneemobilen neben uns hielten und große Augen machten. Wo wir denn her kämen und warum querfeldein? Und wo wir hinwollten? Sie sagten, es würde nur noch etwa 2h per Ski bis Masi dauern, auf genauere Nachfrage sollten es dann aber doch noch etwa 25km sein. Überraschend wenig!
Ob wir eine Nachtwanderung machen wollten, fragte mich Basti schon am Vorabend. Tagsüber eine ordentliche Pause einlegen und dann so lange laufen, bis es dunkel wird und die Nordlichter über den Himmel hüpfen. So etwas muss man mich nicht zweimal fragen, also beschlossen wir, heute Abend die restliche Strecke nach Masi zu laufen. In der Spur ist es komfortabel und es würde nichts dagegensprechen, sich voll und ganz aufs Genießen zu konzentrieren.
Die Herausforderung dabei war es, in der Kälte bei der Pause ohne Zelt ausreichend Schnee zu schmelzen, um warm zu essen und die Thermosflaschen für die Nacht aufzufüllen. Gegen 16:30, die Sonne stand schon recht tief und zauberte eine wunderschöne Stimmung, war es nun soweit – wir, steifgefroren, machten uns endlich auf den Weg. Der Himmel und die Umgebung färbten sich zuerst orange, dann immer kälter über rosa und violett in das tiefe Blau. Es war wunderschön, doch unser Plan hatte einen Haken: Es wurde nicht dunkel. Erst gegen 21 Uhr war es finster genug für die Nordlichter, sie wollten aber nicht erscheinen. Und gegen 22 Uhr ist uns die Strecke wortwörtlich ausgegangen… wir waren bei Masi und haben bei beißender Kälte in Windeseile das Zelt ausgestellt und uns in die Schlafsäcke versteckt.
In der Nacht hatte es um -25°C. Masi ist als Kälteloch bekannt, erzählten uns später die Einheimischen, selbst wenn es in Alta um 0° ist, kann es hier 20 Grad unter Null haben. Der Morgen war aber phantastisch und lockte uns sofort ins Freie: Zwei-drei Zentimeter dicker Raureif zierte den lichten Wald. Den Tag über wurde gefaulenzt, bis wir abends Michael an der Bushaltestelle abholten und dabei semifreiwillig einen etwa 20km langen Abendspaziergang machten. Wir waren nämlich viel zu früh im Ort und da der einzige Laden/Café/Warteraum abends nur von 19-20 Uhr aufmachte, liefen wir um nicht zu erfrieren auf dem breiten vereisten Fluss hin und zurück.
Über das Wiedersehen mit Michael freute ich mich sehr. Wir haben schon einiges zusammen erlebt und unter anderem darüber gesprochen, dass wir beide eines Tages in diese Gegend wollen – es war vor drei Jahren. Dass wir nun ohne uns abzusprechen im Abstand von einer Woche hier ankommen, war lustig und ärgerlich zugleich, aber immerhin hat es funktioniert, ein Stück weit gemeinsam zu gehen.
Mal flach, mal leicht wellig, wunderschön, immer unendlich weit schauend, bei Sonne und ein wenig Wind ging es nun nach Norden, zum Treffunkt mit dem Rest der Gruppe. Drei Tage dafür geplant, waren wir in knapp zwei vor Ort, bis auf eine atemberaubende Nordlichtnacht ohne aufregende Ereignisse. Der ganze Himmel leuchtete in grün, teilweise aber auch rot und lila, wir standen draußen, vergaßen es sogar, zu frieren, und beobachteten das Spektakel. Selbst zum Fotografieren war es zu schön, wir genossen die Lichter live…
In der Joatkahytta trafen wir auf ein volles Haus. Für Finnmarkslopen, ein Hundeschlittenrennen von großer internationaler Bedeutung, mit Strecken bis zu 1200km (!), war hier ein letzter Checkpoint vor dem Ziel und die Teilnehmer wurden für die Nacht erwartet. Daher befanden sich auch viele Besucher an der Hütte und als wir nach dem möglichen Weiterweg fragten – Basti und ich waren immer noch aufs Skilaufen eingestellt – meldeten sich direkt einige Norweger, die uns alle Möglichkeiten erklärt haben. Auch boten sie uns recht entschlossen an, uns nach Alta oder zumindest ein Stück weit mit dem Scooter zu bringen.
Irgendwann konnte ich nicht mehr „nein“ sagen. Aus der vereinbarten, durchaus interessanten Scooterfahrt 4km weit über den See wurde aber letztendlich wirklich eine Fahrt mit dem Auto nach Alta – wer kann der Versuchung schon widerstehen, wenn man im Wind und Schneedrift am Parkplatz ein warmes Auto angeboten bekommt….So landeten wir unerwarteterweise schon ganze zwei Nächte vor dem Abflug in Alta und machten auch mit der Übernachtung einen kurzen Prozess: Das erste, uns als bezahlbar präsentierte Hotel wurde unser Zuhause. Und was soll ich sagen…bei dem hervorragenden Frühstücksbuffet haben sie mit uns wahrscheinlich eher ein Minus gemacht 😀
Der Rückweg führte uns erneut auf fünf verschiedenen Routen nach Deutschland. Die Wege trennten sich in Oslo; während die anderen auf ihre Weiterflüge warteten, stieg ich in den Bus um. 24h dauert die Fahrt nach Köln, auf sie habe ich mich schon lange gefreut – bequem hinlegen, etwas zum Essen holen, lesen und die Wärme genießen. Zwar war die Reise angenehm, unter anderem weil mir Monika und Sebastian Ski und Schlitten abgenommen haben, zog sich aber schon ziemlich in die Länge – dass ich nach einem ganzen Tag im Hotel erholt und bewegungswillig bin, konnte ja keiner voraussehen. Trotzdem: Eine relativ bequeme, günstige Fahrt.
Finnmark ist eine meiner schönsten Touren gewesen. Ihre nahezu vollständig flache Weite, der tiefe, gnadenlose Winter, aber auch das Glück mit dem Wetter (von der besonderen Begleitung mal ganz abgesehen ;)) machten die Gegend für uns absolut faszinierend. Und auch wenn ich bereits mehrfach im Winter im Norden war: Hier spürt man viel deutlicher, wie weit man im Norden ist. Nicht mal eben in einem verschneiten Tourengebiet irgendwo, sondern weit, weit in der weißen Wüste der Subarktis.