Zeltgespenst

…ist unterwegs!

Pamir

Es gibt Reisen, in denen man das eigentliche Reiseziel nicht einmal zu sehen bekommt. Vielleicht ist es ein Zufall, vielleicht äußere Umstände, vielleicht sagt uns aber auch etwas, dass die Zeit einfach noch nicht reif ist. Bereits vor dem Beginn war es holprig – eigentlich hatten wir etwas ganz anderes geplant, aber mein Reisepartner verletzte sich. Spontan fanden sich zwei andere, mit denen wir auch unsere Bergziele radikal neu fest legten. Dass davon nicht viel funktioniert hat ist schade, aber keine Katastrophe. Ein Abenteuer war es trotzdem.

Ein Zustieg? Eine Tour!

… Es war ein Treffer. Ich hörte mich aufschreien, dann kam die erste Erleichterung: Immerhin kam nichts nach und es hat mich auch nicht von unserer Sitzfläche hinuntergerissen, obwohl der Stein diesmal größer zu sein schien. Doch die spannende Frage blieb: Ist etwas kaputt gegangen?

Bei den ersten beiden Treffern war sie einfach zu beantworten: Einmal merkte ich meinen nagelneuen Helm knacken, bekam aber selbst angenehm wenig mit und einmal gab es einen ordentlichen Schubs gegen den Rucksack. Jetzt war der Kontakt direkt; die gesamte linke Seite zwischen der Taille und der Oberschenkelmitte fühlte sich völlig taub an, wie nicht zu mir gehörend, mehr merkte ich aber erstmal nicht. Das Bein ließ sich bewegen und auch an der Beckenschaufel wackelte nichts – vermutlich Glück gehabt. Eine Schrecksekunde gab es trotzdem: Eine Beckenverletzung mit einer entsprechenden Einblutung wäre hier nicht so einfach überlebbar.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich in einem Land unterwegs bin, wo im Falle eines Problems nicht mit schneller Hilfe zu rechnen wäre. Hier kämen am ehesten Einheimische aus dem letzten Dorf zur Unterstützung, sie brächten aber auch nicht mehr als ihre eigenen Hände und Elan mit. Einen Hubschrauber zu mobilisieren wäre es schwierig: Tadjikistan verfügt über insgesamt nur eine flugfähige (Militär-)Maschine. Ich hätte nicht erwartet, dass es mich plötzlich beschäftigt, lag aber dennoch bereits in der ersten, noch absolut friedlichen Nacht länger wach, bis ich hier draußen „richtig“ angekommen bin.

Start in der Nähe vom Dorf Depshar

Bisher ist aber auch nichts Relevantes passiert. Nur saßen wir zu dritt unter einer kleinen Plane auf einem Felsabsatz mitten in einem Couloir und es gewitterte und regnete bzw. hagelte Wasser und bald auch Steine um uns herum. Es wurde frisch; der nimmermüde, sehr schlanke Polizist neben mir fror und zitterte dermaßen, dass ich ihn schließlich umarmte wie ein Kind. Den Minibierbauchträger weiter rechts wusste ich aber halbwegs isoliert und unglaublich zäh und machte mir um ihn keine Sorgen.

Unter uns war es still bis auf eine ruhige, konstruktive Diskussion unseres Plans B. Wie schaffen wir es, hier raus zu kommen, ohne vom Steinschlag umgebracht oder vom Sturzbach runtertransportiert zu werden? Ist es eine Option, aus unserer Mausefalle versuchen herauszuklettern oder steuern wir lieber den kleinen Felsbalkon weiter unten in der Mitte des Couloirs an? Die ursprünglich angepeilte Biwakfläche erwies sich inzwischen als gänzlich ungeeignet und wir waren froh es nicht vor dem Regen geschafft zu haben, hier das Camp aufzuschlagen.

Vorher im Abstieg im Couloir. Einmal im steileren Stück löste auch ich einen größeren Stein aus und traf damit einen Kollegen.

Spätestens nach drei Stunden, als es dunkel wurde, das Gewitter aber noch nicht ans Nachlassen dachte, blieb uns nur noch der Weg nach unten. Eine kurzzeitige Abschwächung des Regens nutzend, rutschten wir dahin, bauten hastig das Zelt auf, schoben als erstes die Rucksäcke als Steinschutzwall hinein und bezogen diese schräg hängende, fragwürdige, aber dennoch schützende Unterkunft auf der soweit beurteilbar außerhalb des meisten Steinschlags liegenden Insel. Links donnerten nach wie vor Steine die Rinne hinunter, wir ließen die Helme an und verbrachten die Nacht so halbsitzend, uns samt Schuhen in die bald feuchten Schlafsäcke einwickelnd. Nun konnten wir auf unsere Lage keinen Einfluss mehr nehmen und schliefen schließlich ein.

Ich träumte von unserer zweiten Nacht auf Tour. Wir zelteten inmitten der dichten, duftenden Rosensträuche nach einem langen heißen Tag und dem ersten überschrittenen Pass. Dieser war unschwierig, nur der Abstieg im mannshohen, stacheligen Gebüsch war kratzig. Den sich anbietenden Zeltplatz am linken Sugran-Ufer seitlich liegen gelassen, beschlossen wir noch eine gute Stunde weiter zu gehen, um am kommenden Tag mehr Zeit für die lange Etappe über den nächsten Pass zu haben. So stiegen wir auf einem klaren, aber abschüssigen Pfad zum Sugran runter, fanden die abenteuerlich gebaute, aber noch solide wirkende Brücke und krochen in der Nachmittagshitze auf das Plateau auf der orographisch rechten Sugranseite hoch. Der Irget-Pass war von hier gut einsehbar, genau wie die Tatsache, dass sich die 1400hm bis dahin mit unseren Rucksäcken – von Essen für 10 Tage über Fels- und Eisausrüstung bis zu den 7000er-Stiefeln war alles dabei – ziehen werden.

Blick vom Belkandou-Pass zum Irget-Pass (im russischsprachigen Raum „pereval Obhodnoj“, wortwörtlich „Umgehungspass“). Wo genau? Dort, wo es am einfachsten rüber geht 🙂 (Mitte-links). Rechts der Pik Irget.

Zuerst auf Tierpfaden, dann weglos durch Büsche und Sträuche und zuletzt auf steilem Schutt bahnten wir uns einen Weg hinauf. „Hier abzusteigen wäre ein Graus“ – dachte ich und hielt automatisch nach möglichen Abseilstellen Ausschau. Die Jungs waren ausbelastet und langsam, ich selbst kam heute überraschend gut hoch, war aber genauso wie sie froh, endlich die 3800m hohe Scharte zu erreichen.  

Letzte Meter!

Dass das Wetter labil war, merkten wir schon in der Früh. Auch die Gewitterneigung wurde thematisiert, jedoch nicht mit dem Abstieg in Verbindung gebracht. „Im Pamir regnet es nie“ hieß es in den Beschreibungen, schade, dass das Wetter nichts davon wusste und uns drei Nächte lang unter Wasser setzte… Im Nachhinein wäre die Scharte die letzte sichere Übernachtungsmöglichkeit gewesen, um 14 Uhr bei bestem Sonnenschein haben wir diese Option aber nicht ernsthaft in Erwägung gezogen.

Blick vom Pass. Gewitterneigung – ja, aber erstmal kein Grund, an Ort und Stelle zu bleiben

Irgendwann wurde es hell. Es regnete nicht mehr und mit der Sonne kam auch die Wärme. Noch vorsichtig, krochen wir aus dem Zelt, trockneten die Sachen, tranken endlich genug – es ist seltsam komplett durchnässt zu sein, sich aber trotz Durst nicht zum 10m entfernten Bach zu trauen – und fanden nur wenig tiefer den Ausstieg aus dem Couloir auf den rechten Grenzkamm. Dann noch einige Stunden durchs „Gemüse“ und schon erreichten wir die erste „richtige“ Schlüsselstelle des Zustiegs – den Fluss Kandim.

Bis nach vorne, zum Zelt, kam in der Nacht kein Stein durch. Auf die Fläche, wo die Sachen trocknen, fiel dagegen einiges

«Wer es zu Fuß ins Basislager schafft, für den sollten die Berge selbst kein Problem darstellen» – diese Worte prägten sich ins Gedächtnis ein. Es ist nicht üblich, ins Korjenevskaja-BC (=Basecamp) zu Fuß zu gehen, die allermeisten fliegen mit dem Hubschrauber. Dabei gibt es sogar mehrere Wege dahin; der unsere, mit 7 Tagen, zwei Gletschern und vier Pässen sowie über 6000hm, ist der einfachste und der sicherste von allen. Gerade der sogenannte Goldgräberpfad direkt entlang der Muksu ist verlockend, weil wesentlich flacher und kürzer, ich habe aber zum einen noch nie einen so kühnen, wenn nicht zu sagen lebensmüden Pfadverlauf gesehen und zum anderen ist er zur Zeit nach einem Murenabgang sowieso nicht passierbar.

Der sogenannte Goldgräberpfad geht u.a. mitten durch diese Hänge, am linken Bildrand angedeutet (und bei guter Auflösung durchgehend) erkennbar. In der Mitte der weggespülte Abschnitt.

Unser Problem war aktuell ein anderes: Es sollte bereits vor 2 Wochen ein Helikopter zum BC starten, der uns das Essen für weitere 3 Wochen und einige warme Sachen mitbringen sollte. Als wir losgingen, wurde der Flug aber immer weiter verschoben, nachdem die zweite flugfähige Maschine des Landes letztes Jahr bei einem solchen, wegen Schlechtwetter umstrittenen Versorgungsflug abgestürzt ist (es gab sechs Todesopfer).

So kamen wir mittags am Kandim an. Eine Querung erschien uns am Nachmittag zu schwierig, doch in der Nacht regnete es wieder heftig und der Pegel stieg nur weiter an. Hier zeigte sich die russische Mentalität von ihrer besten Seite: Von einer Umkehr hat keiner gesprochen, wir haben geduldig auf unsere Stunde gewartet. In der Zwischenzeit übten wir immer wieder Flaschenzüge – sollte einer von uns ins Wasser fallen, müsste das Rausholen schnell geschehen. Außerdem wurden Unmengen an Gedichten zitiert sowie Musik und Bücher besprochen; dem Schachspielen konnte ich zum Glück entkommen…

Egal, wie lange wir suchten….entweder gefiel es uns nicht oder käme man von der Watstelle nicht weiter

Am dritten Morgen war es soweit. Der Stand war schnell gebaut, zusätzlich warfen wir das Seil um einen Block mittig im Fluss herum, um so eine Pendelunterstützung zu haben. Der erste ging und schaffte es sauber zum anderen Ufer – Respekt!!! Wir zogen die Rucksäcke rüber, badeten sie dabei ordentlich und auch ich ging irgendwann los.

Volles Programm!
Sicherung von vorne, Pendelseil von flussaufwärts, erhöhter Anseilpunkt (Bandschlingen-Brustgurt), Stöcke maximal lang, Turnschuhe an, etwas Kleidung bei eisigem Wasser – alles startklar. Die Wassertiefe ist gut am linken Stock zu sehen. Mehr Aktionsbilder gibt es nicht, ein Seil hat sich verklemmt und musste gelöst werden

Der erste Versuch endete mit angeschlagenem, später angeschwollenen Knöchel und deutlich entgeistert, aber immerhin ohne ein Vollbad. Nun ja, Kratzer und blaue Flecken hatten wir inzwischen alle genug. Viele Optionen blieben mir nicht übrig – nur noch erneut konzentrieren und losgehen. Mit dem Waten ist es wie mit dem Klettern: Eine gehörige Portion Frechheit erhöht die Sicherheit, Angst und Übermut werden aber beide bestraft; die Kunst ist es, die goldene Mitte zu finden. Diesmal klappte es und auch der dritte von uns hat es gut rüber geschafft.

Als alle auf dem Trockenen waren, wurde die Stimmung angenehm locker. Trotz meines Hinweises auf eine Spur hinauf waren sich die Jungs einig, einen richtigen Pfad aus der Schlucht weiter unten gesehen zu haben und liefen fröhlich flussabwärts los.

In der Kandim-Schlucht

Einen solchen Weg gab es natürlich nicht, sie haben einen weiter oben gelegenen Pfad dafür gehalten. Nach einigen Kraxel- und Watpassagen und nur noch gering oberhalb des Wasserfalls, mit dem Kandim in die Muksu einmündet, wurden wir schließlich ungeduldig und erkundeten das Gelände über uns. Es war zwar nicht ultimativ steil, das Abklettern auf dem einerseits harten, andererseits bröseligen Lehm mit lose eingebetteten Steinen wurde aber sehr bald unangenehm bis unmöglich und der einzige Ausweg führte im gleichen Gelände hinauf.

So langsam wird es Zeit, hier rauszukommen…

Wir teilten uns auf: Zwei gingen in parallelen Rinnen hoch, ich wartete außerhalb des Steinschlags und sollte schnellstmöglich nachkommen. Doch die anderen stiegen immer höher, die Flugbahnen der unvermeidlich ausgelösten Steine wurden unvorhersehbarer und meine Lage immer heikler. Auf Reibung stehend, konnte ich weder ordentlich ausweichen noch klettern und verfluchte lautstark die beiden, mich selbst für die Idee der Tour, den Pamir und alles andere, was nicht rechtzeitig auf den Bäumen war.

Später verstand ich, was geschah: Die beiden, fit in jedem Gehgelände, aber quasi Nichtkletterer waren überfordert im Steilen, in dem das Festeste die wenigen Grasbüschel waren, und dachten nur an den rettenden Baum über ihnen, an dem sie auch einen Stand machten. Für mich selbst war die Kletterei im Vergleich zum „Beschuss“ relativ entspannt, zudem konnte ich im Gegensatz zu ihnen mit gutem Gewissen mit dem Eispickel ein paar Stufen in die Erde schlagen und dabei selbst Steine auslösen ohne unten jemanden zu gefährden. Die zweite Seillänge war dank der Sicherung lockerer, bei den vielen losen Blöcken aber ebenfalls weder für die Kletternden noch für die Sichernden langweilig.

Safe!

Auf dem Plateau angekommen, lachten wir, dass schon wieder ein Tag vorbei, wir aber immer noch am Leben sind. Außerdem wurde einstimmig beschlossen, nächstes Mal zuerst zu denken und erst danach zu klettern….

Waagerechte Fläche, so schön…

Obwohl kein Wasser in der Nähe, wollten wir auf der wunderschönen Wiese zwischen den majestätischen Gletschern und der mächtigen Muksu zelten und gingen in unterschiedliche Richtungen auf Erkundungstouren. Plötzlich riefen mich die Jungs zurück. «Habt ihr einen Bär gefunden?»- fragte ich scherzhaft, ihre Hektik sehend. «Wie, du auch?!» – «da ist eine Spur inklusive eines frischen Haufens!»

Was der Bär hier außer Murmeltiere jagt, war uns nicht ganz klar und so stiegen wir, plötzlich motiviert, auf den nächsten Pass (Tomasha), den einfachsten und niedrigsten (2800m) von den vier Zustiegspässen. Es gab sogar einen klaren Pfad, dennoch waren es weitere zwei Stunden in der Hitze und als wir oben ankamen, mussten wir entscheiden, ob wir uns in der Abenddämmerung den abschüssigen Abstieg mit zwei Abseilern zum Fluss Hadyrsha antun (ohne zu wissen, ob wir unten irgendwo zelten können), oder ob wir «trocken“ am Pass bleiben. In der Medizin sagt man, «Behandle zuerst, was zuerst tötet“ – wir entschieden uns für die Nacht am Pass und teilten die verbliebenen 200ml Wasser schluckweise unter uns auf. Alle waren ordentlich müde; aufs Abendessen wurde bei fehlender Flüssigkeit verzichtet und schon bald konnte uns nicht einmal die Maus in der Apsis aus den Schlafsäcken rauslocken.

Muksu
Fluss und Gletscher (rechts) Hadyrsha vom Tomasha-Pass. Dort müssten wir hin.

Der Abstieg zur Hadyrsha ging in den frühen, noch nicht heißen Morgenstunden ohne Probleme. Zweimal jeweils 30m abgeseilt, konnten wir den Rest gut ablaufen oder wie üblich im dichtem Bewuchs abkraxeln. Unten am Fluss gab es erst einmal genügend dunkelgraues Wassercoctail mit Sand. Danach freuten wir uns, gleich den ersten Gletscher der Tour zu betreten und besprachen schon die Strategie am letzten und schwierigsten Pass (Kuraj-Shafak, 4600m), als überlegt wurde, doch versuchen rauszufinden, wie es um den Hubschrauber und damit auch unser Essen steht. Seit dem Beginn der Tour vor 5,5 Tagen trugen wir diese Unsicherheit mit uns, denn selbst bei dem mitgenommenen Extravorrat an Lebensmitteln und Gas hätten wir ohne Nachschub im (ohne Heli ebenfalls nicht existenten) Basecamp nichts zu suchen gehabt.

Kurze Abseilpassagen machen das Leben manchmal deutlich angenehmer
Die schuttbedeckte Zunge des Hadyrsha-Gletschers etwas näher. Es geht orographisch links hoch und dann querdurch

Dass die Nachrichten nicht gut waren, lasen wir am Gesicht des Telefonierenden sofort ab. «Am 5.8., eventuell?! Bist du dir sicher, dass früher keiner fliegt?» Wir schrieben den 16.7., das Essen hätte maximal bis zum 21.-22.7. gereicht. Eigentlich hätte der Versorgungsflug bereits am 6.7. stattfinden sollen, bisher waren jedoch weder das Basecamp-Material noch Infrastruktur noch Menschen vor Ort.

 Für uns bedeutete das eine Umkehr an Ort und Stelle. Für die Guides, die am Berg arbeiten sollten, Arbeitslosigkeit. Für all diejenigen, die vierstellige Summen für den Hubschrauberflug etc. bezahlt haben und immer noch darauf warteten, zumindest vergeudeten Urlaub und das Geld für die Anreise. Und für die Tourismusindustrie Tadjikistans, die, was den Alpinismus angeht, hauptsächlich von diesen beiden 7000ern lebt, unerhörte Unzuverlässigkeit und damit zumindest fürs kommende Jahr ein Aus. Das steht im starken Gegensatz zu Kirgisien, welches letztes Jahr ebenfalls einen Hubschrauberabsturz (ohne Todesopfer) vermeldete, dessen Zuständige aber super schnell für einen zuerst vorübergehenden, danach definitiven Ersatz gesorgt haben und wo generell alles deutlich geordneter läuft.

Wie viele «Points of no return» passierten wir inzwischen? Zwar wussten wir, dass wir möglicherweise zurück gehen müssen, hofften aber sehr, es vermeiden zu können. Kandim, der Couloir, der Abstieg vom Irget-Pass, Gebüsch im Aufstieg zum Belkandou – es gab so einige Stellen, die ich nicht so schnell wiedersehen wollte. Doch auch hier gab es keine anderen Optionen, also tankten wir noch einmal genug graue „Brühe“ in Hadyrsha und stiegen ihren steilen Ufer zurück hinauf.

„da gab es nichts zum Festhalten außer eines stacheligen Strauchs…“ – „Also ich……ich habe ihn genommen“.

Es gab wieder frische Bärenspuren. Erneut warteten wir bis zum Morgengrauen am Kandim, um ihn zu queren, doch es fiel nur die Umgebungstemperatur in den Keller, nicht aber der Wasserstand. Die Querung selbst lief besser und schneller bis zum Augenblick, als einer von uns unglücklich hinfiel und sich eine leichte Prellung zuzog. Und den Zustieg zum Irget-Pass-Couloir fanden wir erst gar nicht wieder.

zurück, zuerst entlang der Muksu
erneut am Kandim angekommen

Wir peilten aus der Ferne die richtige Zustiegsrinne an und freuten uns, dem dichten Bewuchs zu entkommen, indem wir seitlich stiegen. Dann wurden meine Zweifel immer größer, doch der schnellste von uns war sich sicher und der andere hielt sich zurück. Da mein Orientierungssinn hauptsächlich zum Verlaufen taugt, protestierte ich nur schwach, und so kamen wir nach mehreren Stunden immer steileren Lehm- und Konglomeratkraxelns auf irgendeinem Kamm an….seilten auf der anderen Seite an zum Glück vereinzelt vorhandenen Bäumchen etliche Seillängen ab und waren uns einig, von diesem Tag in den späteren Erzählungen am liebsten ganz zu schweigen.

Tolles Gelände, gern wieder. Training!
…und schon ist alles vergessen

Unsere richtige Aufstiegsrinne war eine von vielen daneben. Die Motivation im Aufstieg war hoch: Wir haben die Nacht mal wieder «trocken» verbracht und mussten vor der Hitze im Couloir sein, um Wasser zu finden. Größere Ziele setzten wir uns nicht mehr – der Himmel hat oft genug darüber gelacht und auch wurde die Witterung erneut labiler. Doch irgendwie bekamen wir den mit hochlebendigem Schutt gefüllten Couloir hochgekrabbelt und atmeten bei der späten Mittagspause auf dem Pass auf.

Den Menschen gefunden? 🙂
Bunte Berge und bestes Wetter vom Pass aus

Wenn da nicht noch das Runter wäre… Das Wetter beruhigte sich und dem 1400hm-Abstieg auf die sichere Seite des Passes stand nichts im Wege. Die Idee mit dem Abseilen wurde schnell verworfen – die Felsqualität war weit vom TÜV-Standard entfernt – doch der Abstieg bereitete uns eine angenehme Überraschung: Wir konnten im Feinschutt und aufgestaubtem Lehm bestens abfahren. Danach noch etliche Meter im Grünzeug und endlich breiteten wir die Schlafsäcke auf unserem kleinen Fleck zwischen den Rosensträuchern aus.

Runter zum Sugran, über die Brücke auf das andere Ufer, wieder bewundern, wo wir alles im Abstieg runtergekommen sind und auf durch die Stachelwälder zum Belkandou-Pass. Es blieb nichts Gefährliches mehr, daher waren wir entspannt und genossen die blühende Landschaft. Am späten Nachmittag erreichten wir wieder den Grenzposten, wo wir gestartet sind.

letzte Bachquerung, angenehm erfrischend bei Hitze. Wir haben in der Regel langärmlige Kleidung getragen, weil die Sonnencreme (LSF 50) nicht ausgereicht hatte

«Anna, dobry denj!» Ich bezweifelte, den jungen, aber „chefig“ wirkenden Oberhaupt des Postens schon einmal gesehen zu haben, schätzte aber natürlich die persönliche Begrüßung. «Dushanbe fragt jeden Tag nach euch, ist alles in Ordnung?» Wir werden nicht rausfinden, wer genau sich aus der Hauptstadt nach uns erkundigt hatte. Später werden wir aber ein fittes Paar aus St. Petersburg treffen, welches darauf vorbereitet war, absolut autark ins BC zu gehen (90kg Gepäck für zwei Personen!), jedoch trotz vorhandener Grenzgenehmigung angeblich auf direkte Anweisung aus der Hauptstadt nicht durchgelassen wurde. Geht man nicht von der typischen zentralasiatischen Schusseligkeit aus, bleibt nur noch die Erklärung, dass das Militär bewusst keine Menschen in diesem schwierigen Gebiet, wo dieses Jahr gar keine Infrastruktur gibt, haben wollte.

letzte Kilometer bis zum Dorf

Im Dorf Depshar lud uns erneut Uchkun zu sich ein. Er ist eine Art Institution, Verbindungsmann nach außen, Gastgeber und Trekkingführer hier, welcher auch die unsere Route führt. Die Familie lädt passierende Fremde zu Tisch und Bett ein (bzw. isst und schläft man traditionell auf den Decken auf dem Boden), organisiert Transporte und kümmert sich soweit es geht um alles andere. Als ich vorsichtig nach Wasser fragte – mir hätte ein Bach gereicht – wurde mir von einer seinen Töchtern am Feuer ein ganzer Eimer Heißwasser gemacht und samt einer Schöpfkehle an eine nicht einsehbare Stelle gebracht. Die Bezahlung ist dabei nur fürs Taxi und Trekking fest, alles andere erfolgt auf freiwilliger Basis und wird aus Höflichkeit und Gastgebertradition abgelehnt. Will man sich bedanken (wir wussten, wie viele Touris bei der Familie dieses Jahr bereits gewohnt haben und hätten schlechtes Gewissen gehabt, einfach so zu gehen), erfordert es etwas Fingespitzengefühl.

Traditionelle Küche im Gastgeberhaus. Hier kommt super leckeres Essen her!

Jedes Jahr besuchen etwa 100 Bergsteiger das Basislager auf der Moskvin-Wiese («MAL»). Die meisten von ihnen reisen im Juli an, Mitte-/Ende August ist die Saison vorbei. Somit ist es auch unwahrscheinlich, dass selbst wenn am 5.8. wie versprochen ein Versorgungsflug erfolgt, es noch jemand beide Gipfel erreicht, zumindest nicht den des höheren Pik Kommunismus. All diese Bergwilligen verteilten sich nun auf das Fan-gebirge im Nordosten Tadjikistans und die 7000er in Kirgisien, ein Teil, mich inklusive, flog früher nach Hause.

Die Herausforderung der Stadt

Was blieb mir also von den knapp drei Wochen in Tadjikistan? Das Interesse für Zentralasien, welches wesentlich exotischer ist, als ich es mir vorgestellt habe. Ein knapp 10tägiges Trekkingabenteuer, wobei ich noch nie so viel so schlechtes Gelände mit vollem Gepäck gegangen bin. Die Faszination für die wilde Landschaft, die ich unbedingt wiedersehen möchte und ein Plan 2021, den ich schmiedete, noch über die Stachelsträuche schimpfend. Selbst in Dushanbe, von wo ich zuerst um jeden Preis fliehen wollte, lebte ich mich letztendlich ein und musste neu gewonnenen Freunden versprechen, unbedingt noch einmal zu kommen – «mit einem großen Bauch“. Ob ich das Versprechen halten kann, wird die Zeit zeigen, dass wir uns wieder sehen, ist aber bereits so gut wie fest!

Nachtrag: Misshandelte Zustiegsschuhe (davor nur 10 Tage getragen, vor einem Jahr gekauft). Ich glaube, nächstes Mal darf es etwas Stabileres sein…