Wir lieben die Berge. Leben unsere Faszination. Reduzieren das Risiko soweit es geht, kalkulieren den Rest und wenn vertretbar, nehmen es bewusst in Kauf. Wie oft sind wir danach glücklich und strahlend, um viele schöne Erfahrungen und Momente reicher zurückgekehrt? Doch die Natur hat ihre eigenen Regeln. Und ganz selten, aber viel häufiger als es uns lieb ist, kommt nicht der Mensch zurück – sondern eine Nachricht.
Das kann doch nicht sein. Ich habe mich bestimmt verlesen.
Die Umgebung dreht sich, die Beine werden weich. Doch nicht er!!! Nicht er, der vorsichtig und erfahren war, nicht er, den ich so schätzte, nicht er! Im gemeinsamen Freundeskreis funkeln die Nachrichten, jeder ist betroffen und traurig. Mitten am hellsten Tage steht die Welt kopf. Dabei wollte ich nur kurz mittags in der Kantine aufs Handy schauen.
Unter der Maske ist keine Luft mehr zu bekommen. Die Kleidung ist nass geschwitzt, der Kopf weit von der Arbeit entfernt. Ich darf gehen und friere sofort im kalten Regen. Reihe mich in die lange Warteschlange vor einem Fahrradgeschäft ein und komme mit einer Sportmaschine raus, von der mir sogar der Verkäufer abgeraten hatte. Zwar hatte ich tatsächlich vor, mir ein Fahrrad zu kaufen, so eins kam aber nie in Frage… es verspricht allerdings, mich ausreichend zu quälen und mehr wünsche ich mir in diesem Augenblick nicht.
Mein Freund umarmte mich einfach. Die Jungs kannten sich, aber nicht seit langem. Die alte „Gang“ telefonierte miteinander. Und schon war jeder wieder mit sich allein und konzentrierte sich auf die Mission der kommenden Tagen.
Ja, eine Mission. Denn es tut nicht nur weh, sich von jemandem zu verabschieden, nein, es ist auch ein anstrengender Weg. Doch wir sind es unseren Freunden schuldig, ihr Scheiden zu akzeptieren, sie im Frieden ruhen zu lassen, uns an die schönen Tage mit ihnen zu erinnern. Nicht ewig zu trauern – das hätte niemand von uns gewollt! Sondern den Mut haben, sich dem eigenen Schmerz zu stellen. Vielleicht die letzten Lebensaugenblicke vorzustellen. Vielleicht in die Person hineinzuversetzen. Oder einfach zu verstehen, dass auch wir eines Tages gehen werden.
Jeder Unfall in den Bergen stellt uns vor die unliebsame Frage, ob das Risiko vertretbar ist. Ob der Egoismus vertretbar ist, unseren Eltern, Geschwistern, Geliebten unseren Tod anzutun, wenn unser Rückkehrplan mal nicht aufgehen sollte. Denn während unsere Freunde meist selbst ein gewisses Risiko eingehen, sind die Familien nicht selten unschuldig. Auf der anderen Seite der Waage steht die Tatsache, dass gerade Berge uns zu dem machen, was wir sind und was andere an uns häufig schätzen. Was mehr wiegt, ändert sich im Laufe des Lebens immer wieder.
Heute sind es 5 Tage seit jener Nachricht. Ein kleiner Schritt ist schon getan, aber nichts ist schon normal, vorbei, verarbeitet. Permanent denke ich an die gemeinsamen Touren oder versuche diese letzte, unglückliche Tour nachzuempfinden. Ein großartiger Gipfel. Lächeln, Jacke anziehen, ein Schluck Tee. Glücklichsein inmitten der großartigen Gletscherwelt! Ein letztes Mal…