Zeltgespenst

…ist unterwegs!

Großglockner 3799m

28.07.-01.08.2012

Eines Abends saßen Inna und ich vor einer Berghütte in Italien und bereiteten am eigenen Kocher Nudeln zu. Eine Gruppe fand das dermaßen faszinierend, dass sie schnell Wein holten und sich dazu setzten.  Was wir denn so alles machen würden? Was wir vor hätten? Und sie selbst? So kamen wir auch auf die Hohen Tauern zu sprechen, die wir danach besuchen wollten, und insbesondere auf den Großglockner.  Trotz unserer Zweifel, die Tour zu zweit anzugehen, wirkten sie sehr zuversichtlich und rieten uns sogar dazu.

Was für ein schöner Berg!
Was für ein schöner Berg!

Bei Gesprächen wurden unsere Nudeln kalt und ungenießbar. Dafür freuten wir uns auf die kommende Tour und nach einer Nacht in Brixen, wo wir uns eine Wanderkarte für Tauern besorgten, ging es mit dem Bus auf die Österreichische Grenze zu.

Dass man vom Grenzpass in einen österreichischen Bus umsteigen muss, hatten wir schon zu Hause recherchiert. Dass uns die Italiener jedoch 400hm und 6km vor dem Pass absetzen, war eine böse Überraschung. Der Tag war bereits weit fortgeschritten, unsere Rucksäcke gingen nicht zu vor Essen – unter anderem Grillhühnchen, Bier und Saft für den geplanten Pausentag waren dabei.

Pausentag :)
Pausentag 🙂

An einem Parkplatz versuchten wir, eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen. Lange funktionierte es nicht, doch plötzlich hielt ein Wagen 200m vor uns und kam in Rückwärtsgang zurück. Wir wurden mitgenommen und bekamen ein Apartment für die Nacht angeboten – einerseits unfassbar günstig für uns, andererseits zur Freude der im Sommer selten besuchten Gasthausbesitzer.

Die für den Nachmittag angekündigte  Kaltfront deutete sich früher an und wir beeilten uns, zur Stüdlhütte aufzusteigen. Parallel zu uns starteten  zwei Musiker – mit Straßenschuhen, ihren Instrumenten im Koffer (!) und mit der Adlersruhe (3450m)  als Ziel. Und während wir die Wolken beobachteten und immer schneller wurden, spielten sie noch an einigen sonnigen Ecken.

Bergsommer
Bergsommer

Für 600hm mit ordentlich Gepäck brauchten wir 55min. 50hm vor der Hütte erwischte es uns trotzdem, wurde finster und hagelte. Fast im Laufschritt flüchteten wir in die Hütte und keine 10 Sekunden später krachte es zum ersten Mal – den Blitzeinschlag spürte man auch im Inneren eindeutig und körperlich. Bei warmen Getränken trockneten wir uns ab und beobachteten zwei Stunden lang das angsteinflößende Naturschauspiel.

Dann wurde es heller und alle, die zur Adlersruh wollten, packten zusammen. Etwas zögerlich – Donnerschläge waren immer noch zu hören – gingen auch wir,  den Ausschlag dazu gaben zwei von Bergführern begleitete Gruppen etwa 30min vor uns.

Stüdlhütte, endlich!
Stüdlhütte, endlich!

Kurzer Abschnitt auf einem Pfad und schon lag der Gletscher vor uns. Bald holten wir, inzwischen gut akklimatisiert,  zwei Polen ein, hielten kurz an und drehten uns „aus Versehen“ um. Beim Anblick der  schwarzen – nicht grauen! – Wand, die sich in unsere Richtung schiebte, wurde uns ganz kalt im Rücken – mitten auf dem Gletscher, weiter gehts auf den Kamm, zu den Drahtseilen!!!

DONNERWETTER
DONNERWETTER!!!

Nach kurzer Zeit krachte es erneut. Wir kauerten uns auf dem Schnee zusammen, drehten uns mit den Rücken zum Schneeregen und dachten an die beiden geführten Gruppen, die inzwischen wenig unterhalb des Kammes in unmittelbarer Nähe zu den Seilen saßen. Dort schlugen nämlich die meisten Blitze ein und als es endlich vorbei war und sich alle Menschen bewegten, atmeten wir auf.  Eine Stunde später waren wir an der Adlersruh – mit 3450m meinem bisher höchstem Punkt – und hörten uns die Geschichte der Musiker an.

Falsche Zeit, falscher Ort
falsche Zeit, falscher Ort – hocken am Gletscher bis das Gewitter abzieht

Sie erlebten nämlich beide Gewitterwellen unterwegs. Die erste erwischte sie noch relativ weit unten, danach dachten sie, es wäre vorbei und setzten den Aufstieg fort, anstatt in der Stüdlhütte einzukehren. Mit ihren Stadtschuhen stiegen sie über den nassen Mürztaler Steig immer den Kamm entlang, als es kurz vor der Hütte wieder zu blitzen begann. Zwar spielten sie am Abend wie geplant – Großglockner war einer der 150 Gipfel, die die Mammut-Teams zum 150jährigen Jubiläum besteigen wollten und heute war es soweit und wurde gefeiert  – aber runter ging es nervenschonend mit der Materialseilbahn.

Adlersruh – oder, richtiger, Erzherzog-Johann-Hütte ist die höchstgelegene Hütte Österreichs und verfügt über kein Fließendwasser. Die Aussicht ist dagegen traumhaft – wenn es sie denn gibt. Am nächsten Morgen war es genauso grau  wie am Abend und nieselte/schneite leicht, deswegen blieben wir im Lager liegen und strichen unsere Gipfelpläne.  Später erfuhren wir, dass die beiden geführten Gruppen sogar etwas auf uns warteten vor dem Losgehen – bei dem Wetter drehten wir uns aber nur um und schliefen weiter. Sie kamen gegen Mittag wieder – mit dem Gipfel, aber verfroren und nichts gesehen.

Das Wetter lässt zu wünschen übrig

Da sich das Wetter nicht besserte, beschlossen wir, abzusteigen. Kurz nach dem Beginn des Abstiegs, sagte meine etwas weiter oben gehende Partnerin, sie hätte einen Stromschlag abbekommen. Daraufhin wollten wir uns beeilen, von den Stahlseilen wegzukommen, doch plötzlich fangen meine am Rucksack befestigten Stöcke an zu summen. Das war uns zu viel – mit ungeahnter Geschwindigkeit sprinteten wir den steilen gesicherten Steig wieder hinauf zur Hütte, wo sich „unsere“ Gruppen gerade abstiegsklar gemacht hatten.

Aufgeregt, erzählten wir von unseren Erlebnissen und wiesen auf den wieder zu hörenden Donner hin. Trotzdem gingen die Gruppen los und kurz danach trauten auch wir uns raus. Erneut „sangen“ Metallgegenstände, es ging fast im Laufschritt hinab auf den Gletscher und in der bequemen Spur runter. Kurz vor der Stüdlhütte (2800m) erwischte uns wieder der Hagel und sobald wir im Trockenen waren, kam ein richtiges Gewitter.

abends an der Hütte - es ist immer noch instabil und immer wieder gewittrig
abends an der Hütte – es ist immer noch instabil und immer wieder gewittrig

Am nächsten Tag schliefen wir aus und begaben uns in den Ausrüstungsraum, wo wir unsere Essenstüte etc. deponiert hatten. Aber wir fanden – nichts. Hüttenmitarbeiter wollten nichts wissen, nach mehreren immer aufgeregteren Nachfragen erschienen jedoch Stück für Stück meine Steigeisen, Eispickel usw..  Essenstüte samt Kocher soll mit Müll verwechselt und weggeschmissen worden sein – aber irgendwann hatten wir sogar sie wieder. Als sich das Wetter kurz besserte, stieg ich auf die Blaue Wand (Hausgipfel, 2912m) und am Nachmittag machten wir bei schönstem Sonnenschein Ausflug zum Teischnitzkees, hüpften über die Spalten und  bewunderten den Eisbruch.

Blaue Wand
Stüdlhütte vom Gipfel

am Teischnitzkees
am Teischnitzkees

Zurück an der Hütte, sahen wir eine Akja anzukommen. Das Blut blieb für einen Augenblick stehen, jedoch war die Gruppe entspannt und lachte viel, sodass wir von einer Übung ausgingen. Erst am nächsten Tag werden wir erfahren, dass ein 24jähriger von der Glocknerscharte tödlich abgestürzt ist.

———–

Ob ich denn schliefe, fragte meine Partnerin  mitten in der Nacht. „Nein“, flüsterte ich durch das überfüllte Lager, „wollen wir?“ Schnell war der Tee heiß und im Licht des sternübersäten Himmels begannen wir mit dem Aufstieg. Ohne Zwischenfälle gelangten wir an die Erzherzog-Johann-Hütte und nahmen den Gipfelanstieg in Angriff. Der Himmel war dabei weitgehend tiefblau – bis auf die Wolke, die ab 3500m auf „unserem“ Berg saß.

erstes Licht auf dem Weg zur Adlersruh
erstes Licht auf dem Weg zur Adlersruh
kurze Steilstufe vor der Hütte

ab in die Wolke...
ab in die Wolke…

Das „Leitl“ sowie der Grat selbst waren unproblematisch. Trotzdem sicherten wir – unter anderem, weil die Situation es zu ließ und etwas Übung uns nicht stören würde. Auf dem Gipfel, den wir allein für uns hatten, ließen wir uns Zeit zum Genießen und stiegen danach, nun bei immer weicherem und rutschigerem Schnee, zurück zur Hütte ab. Über mehrere Seillängen seilten wir auch ab – den Spaß haben wir verdient!

"alles in Ordnung!"

Kraxelstellen am Kleinglockner
3799m, in Österreich geht es nicht hlher
3799m, in Österreich geht es nicht höher

Blick zum Stüdlgrat
Blick zum Stüdlgrat
"Ballett" im Abstieg
„Ballett“ im Abstieg

Bei bestem Wetter absteigend, trafen wir unzählige Gipfelanwärter und unter anderem einen der beiden „unseren“ Bergführer, der erneut eine Gruppe zur Adlersruh begleitete. Etwas neidisch schaute uns die müde, in der Hitze schwitzende Gruppe an, während der Profi leichtfüßig weiter stieg. Hier wurde es mir klarer als je: Seinen Job will ich nicht haben – nicht jetzt, bei guten Wetter, und schon gar nicht vorgestern im kalten Nebel.

Etwas abenteuerlich ging es zurück nach Hause. Es war ein perfekter, wenn auch leicht chaotischer Urlaub; wir hatten Glück, alles Geplante umsetzen zu können. Trotzdem habe wir auch viel gelernt – und meine Dosis an Gewittern ist gewiss für 10 Jahre im Voraus ausgeschöpft!

kurzer Blick zurück…

mehr Sommer gibt es nicht!
nach Hause...
nach Hause…

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