Juli 2020
Wir wollten nach Kasachstan, landeten aber in der Schweiz. Hatten vor, gerade ins Basislager zu wandern und unsere Zelte vor den vergletscherten Riesen des Tian Shans aufzuschlagen, saßen nun aber in der warmen Stube der Hollandiahütte. Doch die wichtigste Änderung war leider eine andere: Ein Tal weiter hat ein meiner engsten Freunde vor einigen Wochen sein Leben verloren. Es wurde eine Tour des Abschieds, eine Tour zu mir selbst, eine Tour, wie ich sie nie wieder erleben will.
Trotzdem freute es mich, wieder in den Bergen zu sein. Auch der Abenteuergeist, auf eine Expedition gestimmt, kam langsam zurück. So entschieden wir uns für eine nicht zu schwere, aber selten begangene Tour, über die es kaum Informationen gab – über den Ostsüdostgrat auf die aussichtsreiche Äbeni Flue.
Von der Hütte ging es über einfaches Gelände zwischen die beiden Südostausläufer der Äbeni Flue. Hier stiegen wir in einer uns logisch erscheinenden Linie bis unterhalb der Felsen und begutachteten mögliche Aufstiege auf den Grat. Ich hätte mich spontan für eine steile, weitgehend schneegefüllte Rinne entschieden, bin aber an unsere Anfänger erinnert worden. Also ging es im grausigen, steilen Schutt einige Meter rechts der Rinne hoch, nach oben hin etwas fester, aber kraxelig (I-II°). Hier begrüßte uns die Sonne und wir krabbelten auf unseren ersten kleinen Gipfel (I°), um sie zu genießen.
Im Schutt knapp unterhalb des Grates Angekommen auf dem (hier noch) breiten ESE-Grat
Den Blick nach unten hätte ich nicht wagen sollen. Die steile, brüchige Stufe hatte mit einer PD-Tour in den Alpen kaum etwas zu tun, eher mit dem Ende einer Erkundungstour irgendwo in Zentralasien. Das Gelände danach sah aber gangbar aus, also ließ ich die anderen runter und seilte hinterher ab, wo sie mich etwas verunsichert erwarteten. Ich glaube, eine Akklimatisierungstour haben sich die meisten anders vorgestellt.
Über einen steilen Schneehang (40°) stiegen wir auf die nächste Graterhebung. Die Aussicht war fantastisch und ich genoss jeden Schritt, fragte mich aber zugegebenermaßen, ob es für alle vertretbar war. Noch spannender war jedoch die Frage, wie es weiter geht – das Gelände vor uns sah nicht wirklich einfacher aus und der Gipfel schien noch weit entfernt.
Nach wenigen Metern auf dem Blockgrat erwarteten uns eine 45-50° steile Abkletterpassage und anschließend ein steiler, ausgesetzter Firngrat. Wundervolles Tourengelände, welches man jedoch kennen muss. Wir sicherten teilweise und fanden erst am Fuße eines Felsaufschwungs wieder zusammen, der uns wohl als letztes Hindernis den Weg zum Gipfel versperrte.
Habe ich schon gesagt, dass ich abwärts geneigte Platten mit Schutt darauf nicht mag? Gleichzeitig mit Florian erkundeten wir die ersten Meter, kamen aber beide zum Schluss, dass wir keine Sicherungsmöglichkeiten sehen und nicht weiter klettern wollen. Gesichert an einem T-Anker (Sebastian grub sie bei jeder Gelegenheit und immer professioneller ein) erkundete ich die Flanke unter uns und empfand die anderen an einem Eisstand. Von dort kletterten wir 30m in klassischer Eismanier und wechselten dann in nicht zu steile, aber unangenehm brüchige Felsen. Eine Seillänge weiter haben wir auch sie hinter uns gelassen und waren in wenigen Augenblicken auf dem Gipfel.
Nicht täuschen lassen – unter wenigen Zentimetern Schnee ist Blankeis Letzte Meter zum Gipfel
Der Abstieg auf dem Normalweg lief schnell und war entspannt, in der Hütte wurden wir noch nicht vermisst gemeldet und es hat sich keiner beschwert, heute zu wenig draußen gewesen zu sein. Wir machten uns übers üppige Abendessen her und freuten uns über die nicht allzu gute Wettervorhersage für den nächsten Tag – ein Hüttenübergang wird uns allen morgen reichen.