31.07.-13.08.2005
Es war ein Donnerstagabend als mir, damals 18 Jahre alt, mitgeteilt wurde, dass ich mich einer am Sonntag startenden Alpenüberquerung anschließen darf. Freude kannte keine Grenzen – bis mir einfiel, dass ich am Montag einen immens wichtigen Sprachtest hatte und – noch schlimmer – die Tour meinen, was Outdoor angeht übervorsichtigen, Eltern irgendwie erklären musste. Außerdem hatte ich Null Erfahrung und schon gar keine Ausrüstung.
Mit sehr, sehr viel Glück durfte ich den Test alleine bereits am Freitag schreiben. „Mach was du willst“ hieß die Reaktion der Eltern und das einzige, was mir blieb, war der große Einkauf. Im Korb landeten ein Paar Discounter-Wanderstiefel, fünf Paar dicke Baumwollsocken, ein 15 Euro-Rucksack samt knallgelbem einweg-Poncho als Regenschutz, außerdem eine Zip-off-Sporthose von „Zeeman“, ein 2kg-Schlafsack und eine Yogamatte. Zu Hause bekam ich einen Wollpullover und eine alte Regenjacke ausgeliehen und wählte zwei meiner lieblings-T-Shirts aus, natürlich aus Baumwolle. Es konnte losgehen!
Erste Herausforderung war der Weg zum Treffpunkt. Um mittags in München zu sein, musste ich um 3 Uhr nachts im Zug sitzen und da sonst nichts fuhr, lief zu Fuß zum Bahnhof. Bereits nach diesen 45 Minuten hatte ich ordentliche Blasen (später werden daraus „Löcher“); den Rucksack hat übrigens mein Vater getragen. Die Gruppe bestand aus zehn 16-19jährigen und zwei Leiterinnen, die eine 23 und die andere 19 Jahre alt. Während andere sich kennen lernten, schaute ich wie gebannt durch das Zugfenster – dort wuchsen bayerische Voralpen allmählich zu richtigen Bergen heran.
Bald verteilten wir Essen und Kocher auf die Rucksäcke und tauchten in die so neue für mich Landschaft ein. In der ersten Nacht sollte biwakiert werden, für mich war das die allererste Nacht ohne festes Dach über dem Kopf. Als wir gegessen und uns in die Schlafsäcke gelegt hatten – da wir keine Zelte hatten und es nicht genug Ponchos gab, waren wir zu dritt unter einem – fing es an zu schütten. Die ganze Nacht kamen Gewitter mal von der einen, mal von der anderen Seite; wir waren durchnässt, froren und kaum jemand schlief nur eine Stunde. Mit dem ersten Licht krochen wir raus – der Regen hat endlich aufgehört – stiegen in die nah gelegene Schlucht ab und holten Wasser für den Tee.
Von der in der Morgendämmerung liegenden Landschaft war ich absolut fasziniert und wusste, dass diese, wenn auch unangenehme, Nacht für mich nicht die letzte draußen sein wird. Es folgten Auf- und Abstiege, Hitze und Nebel, Regen und Wind, Wärme der Hütten. Vieles galt es auszuprobieren und zu lernen, zu bewundern, zu ertragen.
Eines Morgens standen wir auf und ich traute meinen Augen kaum: Die Bergwelt stand in Weiß da. Barfuß aus der Hütte gelaufen, konnte ich es nicht lange genug aufnehmen: Verschneite Gipfel, mächtige Wolkenformationen, türkisblau schimmernder Schlegeleisspeicher unten. Was für manche eine ärgerliche Störung bedeutete, war für mich eines der schönsten Erlebnisse dieser Bergwandern-Kennenlerntour!
Auf- und Abstiege wurden länger, wir trittsicherer, Hütten höher gelegener. Eines Morgens klagte ein Teilnehmer über Kopfschmerzen, bald ging es ihm schlechter und innerhalb kurzer Zeit wurde er nicht mehr gehfähig. Die Gruppe ging voraus, eine Leiterin stieg etwas auf um Handynetz zu suchen und Hilfe zu holen, ich packte den inzwischen kaum noch ansprechbaren Kranken in meinen Schlafsack ein und blieb bei ihm. Glücklicherweise waren wir in der Nähe eines Fahrweges und bald kam das von der Leiterin informierte Bergrettungsteam. Sie fuhr mit ins Krankenhaus (wo sich der Teilnehmer rasch erholte), ich stieg alleine zur Hütte auf. Obwohl der Tag sehr schön zu Ende ging – wir besuchten noch einen Gletscher und die Hütte war warm und gemütlich – war die Stimmung bedrückt. Es fehlte einer.
Kaum ist die Routine eingeschlichen – früh aufstehen und Tee kochen, die inzwischen mit „Löchern“ übersäte Füße abtapen, warm laufen, den Tag genießen und abends vor der Hütte fröstelnd den Koch- oder Abspüldienst verrichten, um danach im Warmen alles mögliche zu spielen – überschritten wir schon die italienische Grenze. Unendlich erstreckten sich Südtiroler Obstgärten und der eine oder andere Apfel wurde nicht mehr ganz reif.
In Brixen quartierten wir uns in die Jugendherberge ein und bekamen den großen Meditationsraum unter dem Dach als Schlafstätte zugeteilt. Wahrlich luxuriöse Unterkunft! Im alten Kloster gelegen, sieht man aus dem Fenster über die Dächer der Stadt bis in die hohen Berge und während andere durch die Stadt streiften, saß ich auf der Fensterbank und starrte ins Blaue. Irgendetwas in dieser kalten, ungemütlichen Landschaft verzauberte und lockte wie nichts zuvor. Ich komme wieder!