Zeltgespenst

…ist unterwegs!

Katastrophengebiet

„Am 11.04. in Copiapó“, hiess die Vereinbarung. Dann wollten Frank und ich uns wieder treffen und den Chiles Hoechsten, den Ojos del Salado, versuchen. Und obwohl wir von den Regenfaellen, Ueberschwaemmungen etc. beide hoerten, wollte keiner von uns den Plan schon wieder durcheinander werfen und einen anderen Treffpunkt vorschlagen – vielleicht geht es jetzt, 2,5 Wochen nach dem Ereignis, schon alles? Also fuhren wir beide jeweils ueber 12h einer nach Sueden, anderer nach Norden und sahen es uns an…

Ungewoehnliche zwei Stunden Verspaetung hatte mein Bus und wir kamen erst tief im Dunkeln an. Der erste Eindruck – es ist immer noch jede Menge Schlamm auf den Strassen, in meinen Turnschuhen kam ich trockenen Fusses gerade mal zum Ausgang des Busterminals. Mit  boesen Vorahnungen fragte ich den erstbesten Empanadas-Verkaeufer nach einem Hostel – und wehrte mich nicht, als er mich fast bei Hand nahm und in ein der naechsten Haeuser mit Aufschrift „Alojamiento“ – „Unterkunft“ – fuehrte.

Ich zahlte den etwas erhoehten Preis ohne weiter zu fragen und wollte gerade rausgehen und nach einem Telefon suchen, als die Eigentuemerin mich auf den Boden der Tatsachen holte: Erstens ist die Verbindung schlecht und die Telefoncentren wahrscheinlich eh geschlossen. Zweitens sollte ich auf die demnaechst beginnende naechtliche Ausgangssperre achten. Und sie sagte auch das Wort, das mir bis dahin nicht viel bedeutete: Katastrophengiebiet.

Ab 7 Uhr morgens durfte man wieder auf die Strasse. Obwohl mir nicht bekannt war,mit welcher Busgesellschaft Frank anreist, traf ich auf Anhieb den richtigen der vier vorhandenen Busbahnhoefe und wir sahen uns – ohne Internet- und Telefonverbindung nicht selbstverstaendlich. Und dann ging es in die Stadt…

Man kann vieles ohne Bilder beschreiben, aber nicht das, was wir sahen. Ueber zwei Wochen vergingen seit dem durch starke Regenfaelle ausgeloesten Murgang, trotzdem stehen die Strassen immer noch voller Schlamm, stellenweise ueber einen Meter tief. Der zarte Rio Copiapó, jetzt eher ein Bach, schlaengelt sich unschuldig durch die frischen Sedimente und scheint mit durchbrochenen Steinmauern mehrere Meter weiter oben nichts zu tun zu haben. Ueberall wird geschrubbt, gebaggert, geschaufelt; von Uniformierten bis zu den Kleiderfetzen tragenden, von Kindern bis zu den Greisen.

Das Problem des Schlamms ist jedoch nicht nur aesthetisch oder in den (relativ geringen) direkten Schaeden. Oberhalb von Copiapó (und anderen betroffenen Staedten) befinden sich unzaehlige Bergwerke, deren toxische Abfaelle mit dem Wasser runter gespuelt worden sind. Zwar hiess es in den Nachrichten, dass aktuell keine hohen Konzentrationen an Schwermetallen im Schlamm selbst oder der Luft zu messen sind, jedoch wird erwartet, dass die Werte mit dem Austrocknen und Pulverisieren des Schlamms noch steigen. Arsen, Quecksilber, Blei, Cadmium, Kupfer – die unvollstaendige Liste der Gifte, denen die betroffenen Ortschaften nun ausgeliefert sind. Wir wissen nicht, wie hoch die Konzentrationen tatsaechlich sind; Fakt ist aber, dass schon nach kurzer Zeit in der Stadt Augen brennen, Schleimhaeute gereizt werden und Kopfschmerzen einsetzen. Viele Einheimischen gehen nicht ohne Atemschutz auf die Strassen.

Kommt man aktuell von Copiapo aus in die Berge? Die Antwort auf diese Frage suchten wir einen Tag lang. Laut Aussage der Polizei, sind alle Wege in der betroffenen Bergregionen inzwischen passierbar. Laut anderen, nicht weniger zuverlaessigen, Quellen, gilt es nur fuer die Rettungskraefte. Den Punkt setzte der Anblick unseres geplanten Autoverleihs am Ufer des Rio Copiapo: Auf einem verschlossenen, verschlammten Hof war kein Wagen mehr fahrfaehig. Am (nicht betroffenen) Flughafen erklaerte man uns die Lage so: „Jede Firma verlor zumindest mehrere Wagen. Wir selber suchen noch nach den restlichen zwei Pickups; laut Bord-GPS sind sie komplett unter dem Schlamm, von oben nicht zu sehen. Wir versuchen, ein paar Autos von anderen Staedten zu holen, aber das wird dauern und die Nachfrage ist sehr gross.“ Wir gaben unsere Plaene auf, flohen ans Meer und atmeten endlich ohne Kopfschmerzen durch.

Was wird nun aus der Bergarbeiterstadt Copiapó? Wird sie mit vereinten Kraeften von diesem (uebrigens extrem hartnaeckigen) Schlamm befreit und wird normal weiter leben koennen? Oder kommt die vorausgesagte zweite Welle Anfang Mai und vernichtet alle Muehen der vorigen Wochen? Wie wird sich die toxische Masse auf die Gesundheit, vor allem die der kindlichen Atemwege, auswirken?

Nach einem Tag am Meer kehrten wir nach Copiapó zurueck und nahmen den ersten Bus Richtung Sueden, froh und erleichtert, so einfach fliehen zu koennen. Die betroffene Stadt wird uns aber lange in Erinnerung bleiben – und das ist ja nur eine von vielen…

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Nun liegt nicht nur der kurze Copiapó-Aufenthalt, aber auch mehrere Tage in der Region Los Rios (22h Busfahrt suedlich von Copiapo) hinter uns. Da es morgen aber frueh aus den Federn geht, verabschiede ich mich wieder – diesmal aber wirklich nicht fuer lange.

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