08/2020
Bestes Wetter, trockener Fels, aussichtsreiche Tour und gut akklimatisierte wir – was kann man sich als Abschluss eines durchwachsenen Alpenurlaubs noch mehr wünschen? Und dann noch eine vom Tal aus machbare Tour, mit leichtem Gepäck und heute kletterwilligem Monsieur. „Genial“, dachte ich, und ignorierte die durchaus sportlichen Zeitangaben.
Gemütlichkeit als Vorstufe zum Drama
So watschelten wir am Morgen zuerst gemütlich zu einer Bäckerei und dann zur Seilbahn, welche bereits voll im Betrieb war. Der Aufstieg viel im verschlafenen Zustand noch etwas schwer, dafür machten die Pausen Spaß. So waren wir um kurz nach 10 Uhr endlich am Einstieg. Diejenigen, die gleichzeitig mit uns dort waren, drehten um.
Mich machte jedoch der raue, feste Fels nahezu verrückt. Nichts wie los, endlich kraxeln, weder ausgesetzt noch schwierig, seilfrei und nur stellenweise mit ein bisschen Nervenkitzel. Ich bewegte mich entspannt und geschmeidig, Monsieur sah aber etwas besorgt aus und gab zu, mich selten so langsam schleichen zu sehen. Egal… Nirvana!
Es wird steiler
Irgendwann steilte sich das Gelände auf. Die Seilschaften vor uns waren ungleich und sicherten von Beginn an, nun holten auch wir das Seil aus, noch in der Hoffnung, dass wir es bald loswerden werden.
Hier hoch? Echt?
Friends!!!
Eine einfache, aber senkrechte Wand warf einige Fragen auf. Wie war es noch mal mit den mobilen Sicherungen, die Ausbilder im Trainerkurs schienen von meinen Fähigkeiten nicht wirklich überzeugt? Gut, dass ein Friend 5 Meter unter mir gerade das Einzige ist, was unseren Seilschaftsabflug verhindern soll…
Weiter geht`s
Steilaufschwünge und flache Gratabschnitte wechselten sich ab und der Südgipfel kam ganz langsam näher. Irgendwann saßen wir auf der kleinen Pyramide, kauten an unseren Riegeln und dachten darüber nach, dass die eigentlichen Schwierigkeiten jetzt erst kommen sollen. In Beschreibungen wird davor gewarnt, sich zu früh auf den nah erscheinenden Hauptgipfel zu freuen – dabei sieht es doch nach soo verdammt weit aus?! Einen kurzen Augenblick lang überlegte ich, ob die Südwestrippe für einen Ausstieg taugen könnte, bin ich sie doch schon vor zwei Jahren mal abgeklettert, verwarf die Idee jedoch schnell: An den Schutt im oberen Bereich erinnerte ich mich immer noch mit Grauen.
Abseilen macht (nicht immer) Spaß
Vom Südgipfel seilt man kurz ab, quert einige Meter zum nächsten Stand (etliche, auch alte, Köpfelschlingen miteinander verbunden) und gleitet noch einige Meter tiefer. Dann verkürzten wir das Seil wieder auf 10-12m und stiegen, kraxelten, krochen und querten weiter, es fleißig um die Blöcke führend; ab und an kam auch eine Schlinge oder ein Friend zum Einsatz. Die Orientierung, zu Beginn noch nicht einfach, wurde immer entspannter: Wir lernten schnell, den meisten Steigeisenkratzspuren zu folgen. Lediglich ein, zwei Mal mussten wir etwas suchen, darunter an der dritten, letzten Abseilstelle – hier gab es auf beiden Seiten des Köpfels einen Haken, der Richtige war aber nicht auf den ersten Blick zu sehen. Und auch hier seilte man 15-20m ab und querte im ausgesetzten Gelände, unter einem Block durchkriechend, weiter in die Route.
„Ausgesetztheit ist nicht deins“ –
… flüstert mir schon seit Jahren ein Bösewicht von der Schulter. „Den dritten Grad kannst du locker“ heißt es von der anderen Schulter und so manövriere ich mich immer wieder ins Gelände hinein, in dem ich nichts zu suchen habe – wie hierher, zum Beispiel. Was um Himmels Willen habe ich hier verloren? Rechts und links geht es runter, seit Stunden verdränge ich schon die Aussicht und das Ende ich noch nicht wirklich in Sicht. Der Monsieur ist heute topfit und steigt mir geduldig nach – ich hätte keinen Nerv gehabt, meine Geschwindigkeit permanent an den Seilersten anpassen zu müssen. Der Grat ist aber gut griffig und bis auf wenige Stellen (Verhauer?) sehr sicher zu begehen – ich fühlte mich den Umständen entsprechend wohl, wurde aber langsam müde.
Das schöne Abendlicht…
…ist nur selten ein gutes Zeichen. Bekommt man es noch in der Route zu sehen, steht einem meist eine anstrengende Nacht bevor. Um 19:55 verließen wir endlich den Lagginhorn-Hauptgipfel (4010m) Richtung Tal und stellten uns auf einen zügigen Abstieg ein.
Ein Abstieg, der nicht der Rede wert ist…
… ist dieser hier aber nicht. Im abschüssigen Schutt ging es weiterhin sehr vorsichtig runter, die Minuten verronnen, wir fluchten. 40 Minuten für 300hm – so haben wir es uns nicht vorgestellt! Währenddessen verabschiedete sich die Sonne und wir rannten, endlich im einfacheren Gelände, mit dem Licht um die Wette. Vergeblich.
Warum man nicht im Halbschlaf packen sollte
Stirnlampe? Stirnlampe. Nur wo???
Unten. Wohl ganz unten, im Zelt. Oder auch ganz unten im Rucksack, aber auf die Idee kam ich nicht. Als sich die Stirnlampen-Tasche als leer erwies, gab ich die Suche auf und erklärte Monsieur zu meinen Augen – einer erlebnisreichen Nacht stand nichts entgegen.
Von Pärchen und Verhauern
„Mach nur kein Scheiß!“ „Bitte, sei vorsichtig!“ „Bist du sicher, dass es dort lang geht? Lass uns lieber sichern!“ Früher wären wir einfach abgestiegen, jetzt machte die Angst um den jeweils anderen die Sache deutlich komplexer. Immer wieder verloren wir die Spur und die Steinmännchen, kraxelten kleine Absätze hinab, ohne zu wissen, ob wir weiterkommen und richtig sind. Einmal seilten wir sogar ab, weil das Gelände unten komisch erschien. Und all das im Licht nur einer Stirnlampe, wegen des komplexen Geländes nur abwechselnd gehend. Den Abstieg, den ich kannte, verpassten wir – zum Glück. Weiter im Schutt ging es die komplette Rippe hinunter und nach links Richtung Hütte – hier ging endlich der Mond auf und ich konnte dem Monsieur in seinem Licht folgen, ohne für jeden Schritt Lampenlicht zu brauchen. Diese funktionierte übrigens schon seit einer Weile im Notmodus, schaffte es aber tatsächlich noch bis ganz nach unten.
Nach der Morgendämmerung ist jede Tour schön
In der Nacht bewegten wir uns teilweise mit 100hm/Stunde. Wären wir nur eine Stunde früher am Gipfel gewesen – mit der ersten Bahn gestartet, etwas weniger getrödelt – hätte das Tageslicht noch gereicht, um das unübersichtliche Gelände noch am Abend hinter uns zu lassen und es deutlich vor Mitternacht ins Tal zu schaffen. So brauchten wir für 2500hm Abstieg knappe 9h – vor 2 Jahren bin ich hier in 3,5h runter. Mit dem ersten Licht in die Schlafsäcke kriechend, suchte ich im Rucksack nach meinem Buff. Was ich stattdessen fand – meine Stirnlampe.
Abenteuer self made. Gut, dass Monsieur schon schlief.
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Ausrüstung: 50-60m Einfachseil, 3-5 Exen, Grundsortiment an KK/Friends, einige Schlingen, Helm
Schwierigkeit: Bei optimaler Routenwahl ZS/ III°. Alles griffig und gut kletterbar, weitgehend fest. Stellenweise ordentlich ausgesetzt. Lang!
Anmerkung: So wenig wie möglich in die Flanken ausweichen – brüchig, keine Sicherungsmöglichkeiten.