Zeltgespenst

…ist unterwegs!

Plaisir am Sustenpass

Urlaubsreif. Einen ganzen Monat lang keinen Berg mehr gesehen, trotz des immer wieder guten Wetters. Nicht einmal draußen geklettert, wenn man vom „klettern“ einiger leichter, für mich aber kaum erklimmbaren Mittelgebirgsstraßen mit dem Radl absieht. Doch irgendwann passte es wieder: Ein arbeitsfreies Wochenende, gutes Wetter und ein kletterwilliger Monsieur. Also – schnell Sachen packen und nicht wie los!

In der Grassen-Südwand

Kanzelgrat 2444m, III° (Stellen)

Material: Einfachseil 50m, 3-4 Exen, 1-2 Schlingen, Abseilgerät+Prusik. Keile und Friends sind außer zur Übung nicht notwendig.

Dank einer kleinen Feier am Freitagabend ist es Samstagmittag, bis wir unsere Schuhe am Sustenpass schnüren. Das etwas graue Wetter macht dennoch einen soliden Eindruck, also starten wir zur gemütlichen – aber immerhin mit III° bewerteten – Tour über den Kanzelgrat (2444m).

Vom Parkplatz der Sustlihütte steigt man entweder über den Leiterli-Weg oder über die leiterfreie Variante weiter links in 30-45min zur Hütte auf und folgt dem Wegweiser zum Seeli-Klettergarten. Am Seeli selbst zweigt sich ein Pfad nach links zum gut sichtbaren Sattel ab und so erreicht man in 1-1,5 Stunden (vom Parkplatz) bereits den Einstieg.

Seilfrei angefangen, kraxeln wir nach einigen ganz entspannten Metern (I-II) die erste etwas ernstere Stelle (ca. III-) nach unten und stehen nun vor einer Steilstufe (III). Da wir uns zuletzt vorgenommen haben, am schnelleren Seilhändling zu feilen, geht es nun angeseilt weiter, die Kletterei entpuppt sich aber als einfach und löst sich Schritt für Schritt super auf. Vereinzelt gibt es Haken, häufig zu Beginn und am Ende der schwierigeren Stellen. So geht es über mehrere Aufschwünge und flache Gratstücke zur ersten Abseilstelle am Ende des Grats. Die Felsqualität ist traumhaft, rau und griffig, der Grat teilweise schmal, aber nur moderat ausgesetzt – ideal auch für Alpinanfänger.

Von der ersten Abseilstelle glitten wir schnell etwa 15m tiefer, querten nach links auf die Gratschneide und kraxelten einige etwas steilere Meter hinab (bis III), die man auch sichern könnte. Vom erneut gut auffindbaren Abseilstand ging es 25m runter und schon standen wir wieder im Grünen, die wunderschöne Aussicht auf die benachbarten Bergketten genießend.  

Kuchen auf der Sustlihütte, gemütlicher 30min-Abstieg zum Auto, leckeres selbstgekochtes Abendessen, beste Aussicht auf das Sustenhorn, warme Decke am kühlen Abend – so langsam begreife ich das Glück der Überdreissigjährigen. Einziger Wermutstropfen: Der Wecker stand schon wieder auf eine Zeit, mit der ich mich an einem Sonntagmorgen nicht anfreunden konnte.  

Grassen-Südwand 2946m, 6SL III-…III+°

Material: Übliche Hochtourenausrüstung, 4-5 Exen, ggf. 1-2 mittlere Friends und Keile (nicht gebraucht)

Auch das frühe Aufstehen lässt sich sich manchmal besser regeln: Wir warteten, bis Stimmen unserer ebenfalls auf dem Parkplatz übernachtender Nachbarn verstummen – und schliefen weiter, bis die Sonne aufging. Nach einem gemütlichen Frühstück ging es dann einsam und gemütlich wieder zur Sustlihütte, dann querend in Richtung Grassen. Rechts ein Nunatak umgehend wurden wir vom Gletscher empfangen und stiegen im etwa 30° steilen Gelände zum Grassenjoch und damit dem Einstieg in die Südwand auf (ca.3h).

Hier stellte sich schnell heraus, dass wir entgegen der Erwartung (laufendes Seil) von Standplatz zu Standplatz sichern werden – die Wand zieht relativ steil hinauf. Nach einem kleinen Vorbau im II. Grad geht es in schöner, nie zu schwerer, aber gleichbleibend IIIer-Kletterei drei Seillängen hinauf (3a, 3b, 3a). Die Routenausstattung mit 2-4 Haken pro Seillänge empfand ich als ausreichend, das Bedürfnis etwas zusätzlich zu legen bestand nicht (grundsätzlich könnte man aber sowohl Friends als auch Keile verbauen). Nach der dritten Seillänge steigt man auf Steigspuren im Grobgeröll etwas hinauf und quert zum erneuten Einstieg leicht nach rechts (Achtung, gequert wir direkt unterhalb der Wand, nicht im Absturzgelände vorher!). Hier wartet erneut eine Seillänge im oberen III. Grad mit ein-zwei athletischen Zügen sowie eine leichtere (eine Stelle II muss abgeklettert werden) und ganz oben quasi Gehgelände. Der Fels ist größtensteils fest und rau – ein Genuss!

Vorletzte Seillänge
kurz vor dem Ausstieg, letzte Seillänge

Über den einfachen Normalweg (Gratwanderung und die Schneerinne vor dem Stösssattel runter) wanderten wir zurück zur Sustlihütte und traten nach einem Stück Kuchen den Rückweg an. Trotz des Kuchens, der Fotos, der Pausen und eines gemütlichen Tempos waren wir in knapp 8h am Auto und rollten nach Hause. Eine perfekte, aussichtreiche, stressfreie, gut abgesicherte Langschläferhochtour!

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