03.-15.11.2013
Ein bisschen Berge im Herbst
Was macht man im November, wenn man wandern gehen will? In Skandinavien ist es zu dunkel, die Alpen sind bereits verschneit. Da beginnt man zwangsläufig an südlichere Gefilde wie Marokko oder Spanien zu denken – für mich als Pyrenäenfan war die Richtung schnell klar. So landeten wir zu dritt Anfang November in Barcelona und fuhren gefühlt bis ans Ende der Welt weiter – nach Bielsa.
Zu Beginn ist noch zu sagen, dass praktisch nichts nach Plan ging – angefangen von Schwierigkeiten, die ein alpinistisch als „leicht“ eingestufter Grat im angeschneiten Zustand jemandem mit einem 25kg-Rucksack bereitet über Veränderungen im Team bis zu den Wetterbesonderheiten. Aber auch dieses Mal kam ich aus diesen Bergen begeistert zurück.
Obwohl an einer der wichtigsten Straßenverbindungen zu Frankreich gelegen, fühlt man sich in Bielsa „mitten im Nirgendwo“. Man sieht kaum Menschen, der öffentliche Kleinbus fährt nur einige Male pro Woche. Bis zum eigentlich Startpunkt – Barranco de Trigoniero – hatten wir noch mehrere Kilometer Straßenmarsch im Regen. Dann folgte der erste Anstieg bei zunehmend stürmischerem Wetter, also beendeten wir den Tag schon früh im Refugio de Trigoniero – einer größtenteils verfallenen Biwakhütte auf knapp 2000m. Trotz unserer Bemühungen die Hütte bewohnbar zu machen (eine Hälfte war mit Baumüll voll, Löcher im Dach usw.), war es recht ungemütlich, u.a. weil der Wind selbst mehrere Dutzend Kilo schwere Steine, mit denen wir die Tür gesichert hatten, scheinbar mühelos wegschob und den Baustaub durch die Hütte fegte. Nach diesem nasskalten Einstieg wurde das Wetter jedoch besser und die Sicht nahezu endlos weit.
Die nächsten zwei Tage vergingen im leichten Auf und Ab auf dem Grenzkamm zwischen Spanien und Frankreich. Einen Pfad gab es nur ab und zu und selbst er war bei nassem Schnee nicht immer bequem zu gehen. Dies führte im Endeffekt dazu, dass wir am 3. Tag wieder nach Bielsa abstiegen – weiter wäre es zwar gegangen, aber mit erheblichen Schwierigkeiten, die wir mit unserem Gepäck nicht eingehen wollten.
Apropos Gepäck: Ich kam nicht hoch und schwur mir hoch und heilig wieder mehr Sport zu machen. Dann schaltete sich der Kopf ein: Geflogen mit 23km, 6kg kamen später hinzu, das Zelt ist nass. Macht rund 30kg! Ach so. Hungern werde ich sicher nicht, Essen für eine Woche wird auch noch nach Hause gebracht …
Dieser Tag brachte außer Plan A-Aufgabe noch wichtigere Änderungen. Aus verschiedenen Gründen (gesundheitliche Probleme bzw. lieber Freunde besuchen als wandern) verabschiedeten sich meine beiden Mitstreiter und die Fakten sahen so aus: alleine, noch 10 Tage bis zum Flug, schlechte bis sehr schlechte Wettervorhersage. Immerhin gut, dass wir für drei Personen drei Zelte und drei Kocher dabei hatten…
Nun stellte sich die Frage, wie es weiter geht. Geplant war es, der Route Haute Randonnee Pyrénéenne (HRP) gen Westen zu folgen und im Idealfall auch den Vignemale zu versuchen. Angesichts der schlechten Wetterprognose entschied ich mich aber, mich um 180° umzudrehen und in eine mir noch nicht bekannte Richtung zu wandern – in den Naturpark Posets-Maladeta. Dass die vorhandene Karte nur zur groben Orientierung geeignet war, machte die Sache etwas spannender, ich hatte aber mehr als genug Zeit und wollte mich hauptsächlich an markierte Wege halten.
Zum Einstimmen lief ich wieder, drittes Mal, die Straße Richtung Frankreich hinauf. Dann gab es 11km Schotterpiste und einige Meter auf einem Pfad zum von Baumaßnahmen (Wasserkraftwerk etwas weiter unten) verunstalteten Lago de Urdizeto; insgesamt etwa 1400hm. Unterwegs aß ich Unmengen an Brombeeren und ließ mir Zeit, sodass es schnell Abend wurde. Da ich nicht am verbauten See zelten wollte, ging es über grasbewachsene Hänge weiter, bis ich endlich einen schönen Zeltplatz und vor allem Wasser, welches ich schon seit langem vermisste, fand.
Am nächsten Vormittag kam ich nach Biadós und blieb wegen der schlechten Wettervorhersage im 12m²-Winterhäuschen des bereits geschlossenen Refugio. Biadós ist eine kleine Siedlung mit einem knappen Dutzend Häusern, inzwischen menschenleer und recht trostlos wirkend. Die vielen Mäuse leisteten mir aber genug Gesellschaft und später kamen noch drei Spanier vorbei. Sie erklärten mir einige nicht auf meiner Karte eingezeichnete Routen und verabschiedeten in der Früh sich nach Madrid.
Am Morgen stieg ich bei sich rasant verschlechterndem Wetter in Richtung Bachimala (3177m). Der Wind zwang einen immer wieder in die Knie und ich vermisste sehr die in der Hütte vergessene Sturmhaube, besonders als ab 2200m aus dem Regen waagerecht fliegender Eis wurde. Als der Pfad auf ca. 2600m etwas ausgesetzter wurde, drehte ich um, stieg querfeldein ab und lief noch mehrere Stunden im Regen durch die wunderschönen Wälder.
Am nächsten Tag saß ich im Häuschen fest und war froh, dass dieses stabil gebaut war. Die einzigen „Ausflüge“ bestanden aus Wasserholen und flehenden Blicken auf den nicht steigen wollenden Barometer. Als nach der dritten Nacht in dieser höchst bescheidenen Unterkunft der Luftdruck immer noch im Keller und die Berge schwarz verhangen waren, die Wind und Regen aber schwächer wurden, lief ich los. Lieber alleine in den Bergen als in diesem ausgestorbenen Nest.
Der Plan war einfach: 1300hm bis auf den knapp 2900m hohen Pass, dann etwas runter und zelten. Viel gesehen habe ich nicht, aber unterwegs zu sein ist selbst bei Nebel und in ödem verschneitem Geröll um Welten besser als eine mäßig dreckige, kalte 12m² der Minihütte. Am Pass riss es auf und ich sah plötzlich mein Ziel – den Ibon de Llardaneta auf knapp 2700m, unter dem Regenbogen!
Der Abend war wunderschön. Das Gefühl, mitten in den Bergen zu sein ist großartig, auch das Wetter klarte immer weiter auf – was will man mehr?
Als die letzten Lichtstrahlen abbrannten, kam der Wind. Erst hört man ein leises Rauschen, dann kommt es wie ein Donner immer mehr auf einen zu. Man zuckt zusammen und fragt sich, ob es eine Lawine, Steinschlag, Murenabgang oder Ähnliches sein kann. Und dann stürzen sich die Luftmassen über einen, wie eine Welle über Steinufer. Es war gerade noch 19 Uhr als mein Zelt plötzlich auf mir lag.
Ohne lange Ursachenforschung zu betreiben, zog ich schnell das Gestänge aus den Kanälen und legte mehrere schwere Steine drauf. Geschlafen habe ich in dieser Nacht zwar nicht – man döst ein und dann kommt eine besonders heftige Böe und rüttelt einen wortwörtlich wach – aber sie war phantastisch: Heller Mond, wunderschöner klarer Himmel, Bergschatten ringsum. Nun weiß ich aber, warum ich lieber mit einem Biwaksack in die Pyrenäen gehe – bei solchem Wetter wäre es darin um einiges gemütlicher.
Der Wind hat bis Morgen nicht nachgelassen und so strich ich mein nächstes Bergziel – den 3375m hohen, aber normalerweise gut machbaren Pico Posets. Obwohl ich direkt am Einstieg zeltete, war mir alleine das Wetter zu ungemütlich. Schon komisch, weil die Schneeverhältnisse und die Sicht beide ideal waren…
Dann spielte mir meine Karte einen Streich und schickte mich querfeldein weiter. Später gab es noch einen gut 2700m Pass und der lange, aber schöne Abstieg ins Estós-Tal. Genauer gesagt biwakierte ich etwas weiter oben in einer halb zerstörten Dreiwandhütte, weil man am gewünschten See nicht zelten durfte. Die Landschaft sah gar nicht europäisch aus und es hätte mich nicht gewundert, wenn ein Elch oder Bär um die Ecke geschaut hätten…
Wenn Ihr denkt, der Wind hätte sich inzwischen gelegt, dann irrt Ihr Euch. Es gab zwar immer wieder mal ruhige Stunden, aber insgesamt war sein Pfeifen allgegenwärtig und grenzte mich stark bei der Wahl der Wege ein (es kam nichts Ausgesetztes in Frage!). In der Nacht wackelten 30kg schwere Steine in einer Wand und ich rutschte immer weiter zur intakten Wand in der Hoffnung, dass die ganze Konstruktion hält. Sie hielt.
So kam es, dass ich auch den für den nächsten Tag geplanten 3000er aufgab (bei dem Wind geh ich nicht hoch!) und viel zu spät aufbrach. Später stieg ich mit Steigeisen&Co gewappnet zwar trotzdem hoch, verfehlte aber den Einstieg und landete auf dem nächsten Kamm. Die Zeit, den Fehler zu korrigieren, blieb keine mehr, also ich genoss den blauen Himmel und die unendliche Sicht von einem noname-2450er.
Der Wind wurde tagsüber schwächer, frischte aber dann von jetzt auf gleich auf. Eine Stunde später kamen erste Wolken und das Gehen gegen den Wind wurde unmöglich. Eine weitere Stunde später waren die Berge homogen grau verhangen und es schneite.
An dem Tag traf ich drei Personen – die ersten seit sechs Tagen. Sie sagten auch, dass das Wetter kippen wird, weshalb ich mich für den Ausstieg entschied, zudem war es gerade bequem möglich. Zwei Stunden später war ich in Benasque…
Eine Überraschung hatte die Natur noch für mich. Am Morgen sah die Welt weiß aus:
Nach einem kalten, verregneten Wochenende in Barcelona ging es zurück nach Deutschland. Die Pyrenäen in ihrer herbstlichen Schönheit stehen aber immer noch vor den Augen – und nun, wo ich das Ganze zumindest von unten gesehen habe, ist der Wunsch zurück zu kommen stärker denn je. Biwaksack statt Zelt, etwas weniger Gepäck insgesamt, Start in Benasque und vielleicht 1-2 Wochen früher im Jahr – und dann nicht „lang“ sondern „hoch“!
Hallo! Ich bin sehr begeistert von Deinem Bericht. Will auch im November in meine Lieblingsberge, die Pyrenäen. Der Bericht vermittelt sehr schön, wie man sich so alleine in dieser Wildnis zu fortgeschrittener Jahreszeit fühlt und welche Wunder man doet erleben kann!
Alle Achtung für Dich!
Gruß von Micha (66)
Danke Dir Micha! Drücke Dir die Daumen fürs gute Wetter und schöne Herbstfarben!